„Positives Denken“ ist doch super, oder? Vielleicht bin ich jedoch schon verblendet und verdorben. Möglicherweise habe ich die naive und positive Sicht in die Menschen auch noch nicht verloren.

Positiv…

Da ist es wieder, dieses Wort. Positive Einstellung durch positives Denken. Und jetzt dreht es sich im Großteil dieser Blogbeiträge auch noch um Positive Psychologie… Das mag zu viel sein für den „Durchschnittsdeutschen“. Den, der gerne unter die Lupe nimmt, hinterfragt, den doppelten Boden sucht. Den, der besser ein Mal zu viel nein sagt und seiner Angst in den Hintern tritt, als am Ende der Gelackmeierte zu sein.

Aber nicht nur die Wortwahl des Feldes wird kritisiert. Da wird sogar von Fachleuten von der „Beglückung“ der Psychologie gesprochen, die man als Psychologe nicht nötig habe. Man bekäme durch die positiven Konzepte etwas aufgedrückt, was einseitig sei und keine negativen Gefühle mehr zulasse. Es wäre lächerlich, für etwas so Banales eine eigene Forschungs-, ja gar Lehrrichtung zu eröffnen.

Zu esoterisch, quasireligiös – a touch too much.

Und diejenigen, die die Hürde des Namens der Positiven Psychologie genommen haben (die sich – wie ich für den interessierten Leser in Tania Konnerths und Ralf Senftlebens Blog „Zeitzuleben“ erkläre – klar vom Positiven Denken trennt), stehen plötzlich vor Übungen, die manchmal sentimental, zuweilen auch simpel anmuten, andere Male kitschig oder unmöglich auszuführen scheinen, wenn man sein Gesicht wahren will.

Ich selbst erlebe das immer wieder.

Hippies mit Stirnbändern – und alle lieben sich

Vor ein paar Tagen war die texanische Bestsellerautorin Byron Katie in Köln Mühlheim und füllte die Stadthalle mit 1200 Menschen. Kritiker, Neugierige, Fans. Sie stellte ihre (Coaching)Methode the work vor, die auf die eigenen Stress erzeugenden Überzeugungen abzielt und durch Hinterfragen dieser Gedanken eine Besserung herbeiführen soll. Byron Katie erläuterte Hintergründe, gab viele Beispiele aus ihrem Leben und ließ das Publikum an einer Live-Demo des Konzeptes teilnehmen.

Bis ich mich auf die mir bereits bekannte Methode einlassen konnte (ich war einer der neugierigen, Arme verschränkenden Kritiker im Raum), monierte ich für mich, dass das alles nicht neu und ohnedies seit einer Ewigkeit als kognitive Umstrukturierung aus der Psychologie bekannt sei. Ich runzelte die Stirn über Besucher mit Stirnbändern (die in meiner Fantasie mit Sicherheit auch barfuß auf ihren Plätzen saßen) und bekam mehrfach eine Gänsehaut. Zwar fielen die Worte „positives Denken“ nicht. Dafür das Wort „Liebe“ so oft, wie die durch Füße umgetretenen Glas-Wasserflaschen in der gefühlt 60° warmen Stadthalle.

Nachdem ich mich nach drei Stunden auf den Heimweg machte und meine Stirn wieder glatt gestrichen hatte, zog ich ein für mich dennoch schönes Resümee:

Es gibt wenig, was wirklich neu ist. Es gibt Vieles, was umformuliert, in eine Geschichte eingepackt und damit einer breiteren Masse schmackhaft gemacht wurde. Garniert durch schlaues Marketing und eine Heldenfigur auf der Bühne kann es in die Welt fahren. Denn solange es die Menschen glücklicher macht und ihnen nicht schadet, ist das doch durchaus eine positive Sache.

Hippy und positives Denken?

Urteile nicht über Dinge, von denen du nur Echo und Schatten kennst.
Aus Japan

Was nehme ich also aus solchen skurrilen und „nicht normalen“ Situationen mit, nachdem ich mich auf solche Dinge einlassen konnte? Ganz einfach: das, was ich mitnehmen will.

Ob es die Art des Marketings oder die Art ist, wie jemand etwas Bekanntes verkauft. Oder wie komplizierte menschliche Vorgänge einfach erklärt werden. Auch wenn ein Film, ein Konzert, ein Vortrag für mich unpassend sein kann, ich bin danach stets schlauer als zuvor und habe etwas gelernt, wenn ich die Augen aufmache und Vorurteile beiseite schiebe.

Urteilen hat auch was mit teilen zu tun

Trotzdem ist es schade, dass das „positiv“ in Positiver Psychologie bei vielen den selben negativen Effekt hat wie die Stirnbandträger in mir wachriefen. Zudem in einem Setting, in dem man „liebt, was ist“, das – im Nachhinein betrachtet eine großartige Grundlage für ein harmonisches Miteinander und das Teilen für Wissen ist!

Durch meine vermeintlich unpassende Etikettierung die angebotenen Inhalte gar nicht erst in Betracht zu ziehen, scheint mir eine vertane Chance gegenüber dem Lernen von etwas Neuem und dies in das eigene Weltbild zu integrieren.

Positive Psychologie - Erfolgsgarant oder Schönmalerei? - Michael Tomoff

Eine kritische Auseinandersetzung finden Sie auch in meinem vierten Buch „Positive Psychologie – Erfolgsgarant oder Schönmalerei?

Mein Tipp: Lassen Sie die wissenschaftlich erprobten Übungen für mehr Wohlbefinden der Positiven Psychologie nicht links liegen, weil sie unter diesem Label stehen, schmalzig klingen oder ungewohnt sind.

Geben Sie sich einen Ruck und testen Sie aus, was Ihnen fremd ist (und lernen Sie, warum positives Denken nicht gleich Positive Psychologie ist). Oder suchen Sie sich zuerst eine Übung aus, die für Sie passend erscheint. Kleine Schritte führen auch hier zu Gewohnheit und großen Effekten. Und am Ende ist es schöner zu sagen, „Ich fand das anfangs echt komisch…“ aber glücklicher zu sein, als eine neue Sicht der Dinge schon vorab weggewischt zu haben.

Und wer Schwierigkeiten hat, Kitsch, Unbehagen oder stressende Gedanken beiseite zu lassen, kann gleich die meiner Meinung nach stärkste Frage aus Byron Katies Arbeitsblatt nutzen: „Wer wärst du ohne den Gedanken?“. Denn letztlich können wir Vieles nicht wirklich wissen – auch, wenn wir das gerne so hätten und uns einen Haufen Sorgen darüber machen.

Das Wichtigste ist: tun Sie das, was Sie letztlich tun, aus vollem Herzen. Geben Sie Leidenschaft in die Übungen. Lassen Sie sich testweise vollständig darauf ein. Alleine das wird Ihnen bereits gut tun und mindestens Ihren Horizont erweitern…

Gibt es bei Ihnen etwas, auf dass Sie sich vielleicht noch nicht gänzlich einlassen können oder wollen?! Warum nicht?

Foto: Freeimages.com und Amyelisabethplease