Wenn Sie durch das Lesen dieses Artikels etwas ganz Tolles entdecken über ein Ihnen unbekanntes Thema, dann war wahrscheinlich Serendipität am Werk. Was ist Serendipität? Sie beschreibt zufällige Entdeckungen, die wir machen, während wir auf der Suche nach  einem ganz anderen Thema sind. Als gingen Sie zum Bäcker, um Brötchen zu holen und dabei den Mann oder die Frau Ihres Lebens treffen.
Dieser geschätzte Gastbeitrag ist von Nadja Petranovskaja!
Die berühmtesten Beispiele dafür sind Kolumbus mit der Entdeckung Amerikas (auf seinem Weg nach Indien), Alexander Flemings Entdeckung von Penicillin und Wilhelm Conrad Röntgen, der ein paar vorher unbekannte Strahlen fand.

Serendipität als Haltung

„Life is what happens to you while you are busy making plans. / Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, Pläne zu schmieden.“ –John Lennon

Es reicht nicht aus, auf den „glücklichen Zufall“ zu warten. Es ist eine Haltung, Neues zuzulassen, sich dem Unerwarteten zu öffnen und bereit zu sein für etwas, das wir noch nicht kennen. Für die meisten von uns ist das schwer, weil unser Gehirn für all die Information, die wir empfangen, einen komplexen Filter aufgebaut hat. So sehen und hören wir fast immer nur Dinge, die zu unseren „inneren Landkarten“ passen. Dinge, mit denen wir uns die Welt (passend) erklären. Wer beispielsweise daran glaubt, dass bärtige Männer tiefe Stimmen und einen bösen Blick haben, wird alle Bartträger mit hoher Stimme und lieben Augen wahrscheinlich nicht bemerken. Dieses Phänomen wird sehr anschaulich mit dem berühmten Basketball-Video veranschaulicht, in dem Sie die Pässe des weißen Teams zählen sollen:

Bereitschaft zum Staunen

Die Bereitschaft des Entdeckens unerwarteter Ergebnisse ist mit einigen Konzepten der positiven Psychologie stark verwandt, so z.B. mit Genussfähigkeit, Optimismus, Selbstvertrauen und dem des Staunens.
  • Wann sind Sie schon einmal in ein Museum, ein Restaurant oder in einen Film (aka Sneak Preview) gegangen, ohne sich vorher zu informieren, was es dort zu sehen oder zu essen gibt?
  • Wer bestellt beim Kellner einfach „das, was der Chef am liebsten kocht“ ohne zu wissen, was auf den Teller kommt?
  • Wer steigt einfach in einen Bus oder Zug, ohne zu wissen, wohin dieser fährt?
Die Bereitschaft, zu staunen und sich überraschen zu lassen, ist wichtig, um den eigenen Horizont zu erweitern und dabei Vertrauen in die Welt setzt, dass diese Experimente nur Gutes bringen.

Können Zufälle glücklich machen?

Neben Kolumbus, Penicillin und Röntgen gibt es Tausende von Beispielen für zufällige Entdeckungen, die zu mehr Glück geführt haben (und damit ist nicht nur finanzielles Glück gemeint!) und wesentlich kleiner sind. In meinem persönlichen Bekanntenkreis hat eine Psychologin, die zu einem Kongress in die USA gereist ist und dort bei einer Bekannten übernachten sollte, an einer falschen Tür geklingelt und so den Mann ihres Lebens kennengelernt. Die Kombination aus Glück, Unwahrscheinlichkeit und dem zeitlichen Moment hat eine beinahe magische Kraft. C.C. Jung bezeichnete Zufälle als „Schöpfungsakte in der Zeit“, der Autor und Journalist A. Kloester nannte sie „Scherze des Schicksals“. Wer die Fähigkeit, zu staunen, loszulassen und zu vertrauen innehat, kann sich selbst gestatten, im Hier-und-Jetzt aufzugehen. Forschungen haben gezeigt, dass die Bereitschaft. über Zufälle und zufällige Entdeckungen zu staunen, im direkten Zusammenhang mit unserer Persönlichkeit steht. Diese Menschen haben gewöhnlich mehr Selbstvertrauen und sind öfter glücklich; insbesondere dann, wenn sie die unerwarteten Ereignisse positiv interpretieren. Staunend eben. Kindlich offen. Im Vertrauen.

Serendipität und Fortschritt

Der Philosoph und Forscher Nassim Nicholas Taler, dessen Bücher ich mit Begeisterung lese, hat in dem Buch „Antifragilität“ (Taleb, 2013) einen interessanten Aspekt zum Thema „Fall“ hinzugefügt. Früher – vor allem in der Zeit vor der Industrialisierung – gab es noch sehr viel Variabilität. Heute setzt der wachsende Komfort die wachsende Langeweile voraus, die wir in manchen hochentwickelten Nationen beobachten können. Menschen sind zu 70 bis 80 Prozent mit ihrer Arbeit unzufrieden, die Scheidungsrate steigt, während die Rate von politischen und religiösen Konflikten wächst. Alles das liegt aus der Sicht des Essayisten unter anderem daran, dass es für beinahe alles bereits einen Verantwortlichen, einen Prozess und ein Video bei YouTube gibt. Mit der wachsenden Menge an Information sinkt die Notwendigkeit, selbst zu denken und etwas dem (glücklichen) Zufall zu überlassen. Wir werden in Watte gepackt, und das tut uns nicht gut.

Serendipität und Technik

Und was hat Serendipität mit dem Internet zu tun? Leider wird die Serendipität im Internet in der Zeit von intelligenten, lernenden Algorithmen, die unser Surf-Verhalten analysieren, immer weniger möglich. Wo früher das „Surfen“ tatsächlich noch mit dem Flow zu tun hatte, kursieren heute schon Scherze wie: „Willst du etwas gut verstecken, packe es an die zweite Ergebnisseite bei Google – da schaut eh niemand hin“. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass zwei Menschen, die das gleiche Wort in das Suchfenster eingeben, verschiedene Ergebnisse erhalten – basierend auf den Stichworten aus den letzten Suchen. Wie soll man da etwas finden, wonach man nicht sucht? So schränkt die doch-so-schlaue (Google-)Technik Möglichkeiten ein, die menschliche Fähigkeit zur Serendipität zum Tragen zu bringen. Je mehr automatisch berechnet wird, desto weniger hat man die Gelegenheit, rechts und links des strikt vorgegebenen Lösungswegs Neues zu entdecken.

Serendipität – nicht für jeden was

Serendipität als Haltung verlangt eine Art Angstfreiheit. Angstfreiheit vor Neuem und Ungewissen. Das ist nicht für alle von uns ein Glücklich-Macher. Wer von Natur aus eher ein Bedürfnis nach Sicherheit, emotionaler Ruhe und Harmonie hat, würde sich nicht auf einem Schiff mit unbekanntem Reiseziel melden. In kleinen Portionen jedoch kann das Erforschen eigener Grenzen eigene noch ungenutzte Fähigkeiten aufzeigen. Und dagegen ist doch nichts einzuwenden, finden Sie nicht? Lassen Sie uns also…
  • in einen Bus oder Zug steigen, dessen Ziel wir nicht kennen und zumindest vier Stationen fahren.
  • im Restaurant ein Gericht bestellen, ohne in die Karte zu schauen.
  • darauf vertrauen, dass wir bei derartigen Entdeckungsreisen etwas finden, was noch in keinem Reiseführer steht und somit unseren universellen menschlichen Hunger nach Leben und Freude stillen.
  • unsere Filter öffnen und beim Erforschen bereit sein, etwas Andersartiges aufzuspüren.
  • jede Person, die uns begegnet, als eine Möglichkeit betrachten, etwas Neues zu erfahren und etwas ganz zufällig zu entdecken.
Sind Sie dabei? Foto: NASA via Unsplash Literatur Taleb, N. N. (2013). Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen. München: Albrecht Knaus Verlag. Huffington, A. (2014). Die Neuerfindung des Erfolgs: Weisheit, Staunen, Großzügigkeit – Was uns wirklich weiter bringt. München: Riemann Verlag.

Nadja Petranovskaja Serendipität - Was Wäre Wenn - Michael Tomoff Nadja Petranovskaja ist zukunftsorientierte Psychologin, Gastgeberin, Autorin und Impulsgeberin. Unter dem Motto More Shiny Eyes hilft sie Organisationen und Privatpersonen, ihr Potenzial zu entfalten.