Selten findet „Mentaltraining“ den Weg in die Top-Liste der Neujahrsvorsätze. Häufig dagegen findet der Vorsatz „Ich möchte mehr für meine Gesundheit tun“ einen der vorderen Plätze in der Liste der zu erreichenden Ziele. Warum Sie bei diesem Ziel schlecht Erfolg oder Misserfolg erreichen werden, hat der Artikel Wie halte ich meine Vorsätze für das neue Jahr durch? gezeigt.

Heute möchte ich Ihnen eine gerade für sportlich wenig Disziplinierten („keine Zeit“, „keine Lust“, „zu kalt, zu nass, zu windig und alleine macht joggen ohnehin keinen Spaß!“…) einen schier unglaubliche aber wissenschaftlich belegte Möglichkeit aufzeigen, mit der Sie nicht nur Ihren Körper auf Trab bringen, sondern auch viele andere Dinge trainieren können.

Und nein, ich meine nicht das Doping Ihres Körpers…

„Nur noch 5 Minuten…“

Sie kennen das wahrscheinlich: der Wecker klingelt, Sie hängen noch dem wirren Traum nach, aus dem Sie gerade gerissen wurden und fragen sich, warum um alles in der Welt Sie jetzt aus Ihrer kuscheligen Decke kriechen und sich in den Tag stürzen sollten, anstatt die einhändige Rückhand zum Schlummern-Knopf zu schlagen! (eine Reihe von Tipps zum erfolgreicheren Frühaufstehen zeigt Christoph Renk in seinem Blog Work Trends)

Mal abgesehen von dem Fakt, dass es genetisch bedingt ist, ob Sie eine Lerche (Frühaufsteher) oder eine Eule (Langschläfer) sind, gibt es eine Möglichkeit, wie Sie sogar im Bett (mit all seinen Vorteilen) schon beginnen können, Ihren Körper zu trainieren und trotzdem noch 5 Minuten liegen bleiben können!

Und dazu nutzen Sie die Variante, die Hochleistungssportler schon seit Jahren bei allen ihren Wettkämpfen erfolgreich einsetzen: die Kraft der Imagination!

Die Forschung zu motorischen Fähigkeiten hat bereits vor mehr als 40 Jahren gezeigt, dass mentales Training zu besserer Leistung führt (Corbin, 1972; Feltz & Landers, 1983) und aus diesem Grund ebenfalls die neuronalen Ereignisse zur Steuerung der Muskulatur durch geistige Übung verbessert werden können.

Vinoth K. Ranganathan und seine Kollegen fanden durch ihre Studie heraus, dass alleine die Vorstellung an eine physische Aufgabe bereits zu Muskelzuwachs führt. Ohne – im wahrsten Sinne des Wortes – einen Finger krumm zu machen!

Und dieser Finger war auch zentrales Objekt ihrer Studie.

Zwei Ziele hatte die Studie:

  1. Den Effekt des mentalen und durch Training ausgelösten Muskelwachstums zu bestimmen. Und zwar auf der Außenseite (Abduktor/Abzieher) des kleinen Fingers und dem Ellbogen-Beugemuskel, welche beide am Tag regelmäßig genutzt werden.
  2. Das Ausmaß des Effektes dieser freiwilligen mentalen/kognitiven Signale (maximal voluntary contractions = MVCs) auf das Muskelwachstum zu bestimmen.

30 junge Freiwillige Rechtshänder nahmen an der Studie teil.
Die erste Gruppe von 8 Teilnehmern wurde angewiesen, „mentale Kontraktionen“ der Außenseite des kleinen Fingers  zu vollziehen.
Die zweite Gruppe von ebenfalls 8 Teilnehmern vollzog mentale Kontraktionen des Ellbogen-Beugemuskels.
Die dritte Gruppe von ebenfalls 8 Teilnehmern diente als Kontrollgruppe wurde nicht trainiert, sondern nur wie die anderen Gruppen regelmäßig an kleinem Finger und Ellbogen gemessen.
Und zuletzt gab es die vierte Gruppe von 6 Teilnehmern, die die von den anderen Gruppen nur mental absolvierten Übungen wirklich physisch durchführten.

In den nächsten 12 Wochen trainierten die Probanden an jeweils 5 Tagen in der Woche für 15 Minuten täglich.

Ergebnis

Die mentale kleiner-Finger-Gruppe hatte die Stärke ihres kleinen Fingers signifikant um 35%(!) vergrößert.
Die mentale Ellbogen-Gruppe um ganze 13,5%.
Die physisch trainierende Gruppe erhöhte ihre Finger-Muskelkraft um 53%.
Die Kontrollgruppe erhöhte erwartungsgemäß weder in Finger noch in Ellbogen die Kraft der Muskeln.

Den Unterschied zwischen kleinem Finger und Ellbogen deuten die Autoren dahingehend, dass die Ellbogenmuskeln im Alltag deutlich häufiger genutzt werden als die des kleinen Fingers, so dass dort weniger Potential für Muskelwachstum vorhanden war.

Als schöner Nebeneffekt zeigte die Messung durch ein EEG, dass begleitend zur erhöhten Muskelkraft in den mental trainierenden Gruppen auch ein signifikant höheres Level an kortikalem Potential entstanden war. Das Gehirn wurde also durch wiederholte geistige Versuche zur maximalen Muskelaktivierung befähigt, stärkere Signale zur willentlichen Kontraktion zu generieren.

Das mentale Training führte also die Muskeln zu einem größeren Aktivationslevel und mehr Stärke.

Und dieser Effekt blieb bei beiden Gruppen für mehr als 10 Wochen über dem Stand vor der Untersuchung. Für die kleiner-Finger-Gruppe war die Muskelkraft sogar bis zu 18 Wochen höher als der Ursprungswert, was darauf hindeutet, dass im Gehirn starke, lang andauernde neuronale Bahnen gebildet worden waren, ähnlich denen, die wir beim Radfahren, Schlittschuhlaufen oder Schwimmen bilden.

Was bringt Ihnen dieses Wissen?

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen wunderbar die Kraft und Wirkung unseres Geistes und den Effekt, den Übung und regelmäßige Wiederholung auf unseren Körper und auch die geistigen Prozesse bewirken kann. Sie zeigen weiterhin, dass wir auch einen Teil unseres täglichen Fitnessprogramms fernab von Geräten betreiben können.

Die Möglichkeiten sind schier unendlich und können so manche Warteminute füllen:

  • Liegestütz im Sitz des Zuges auf der Fahrt zur Arbeit – gerne auch einhändig
  • Klimmzüge in der U-Bahn (stellen Sie sich vor, Sie hängen an der Festhaltestange oder den Schlaufen und reißen ihre 20 Wiederholungen ab!)
  • Dips und Sit-Ups am Sofa – nur dass Sie auf dem Sofa sitzen bleiben

So witzig diese Vorstellung auch sein mag – die Wissenschaft hat wieder einmal gezeigt, dass unser Gehirn nicht wirklich entscheiden kann, was Wirklichkeit ist. Sich das täglich zunutze zu machen für körperliche Kraft- oder auch Ausdauersteigerung oder Erreichen Ihrer Ziele (nämlich bei durch Visualisieren der Ziele) ist eine Übung, die anfangs Konzentration und Aufmerksamkeit fordert, aber im Laufe der Zeit – wie auch bei den „echten“ Fitnessübungen – in eine Routine übergeht, die Ihnen gut tut.

Auch für Ihre Liebsten im Krankenhaus (manche von uns haben Eltern oder Großeltern, die sogar über längere Zeiträume dort ohne große Bewegung liegen) hat das positive Folgen: die ansonsten nicht möglichen Stärkungsprogramme, die außerhalb des Bettes stattfinden, können durch mentales Training in ähnlichem Ausmaß geschehen, um Muskelkraft zu erhalten oder sogar zu vergrößern.

Aus Erfahrung meines Habit-Programmes bei dem bekannten Blogger Leo Babauta weiß ich, dass die Gedankenübungen die sind, die anfangs am ehesten Ablenkung zulassen. Zu schnell ist man in Gedanken dann plötzlich doch im Einkaufszentrum und greift ins Käseregal anstatt sich wieder hochzudrücken vom letzten Liegestütz.

Deshalb ein Tipp: Fangen Sie klein an! Übertreiben Sie es weder bei physischen Übungen noch bei den mentalen. Ich habe Ihnen hier den kleinen Finger gereicht… Steigern Sie sich langsam aber stetig.

Und? Wie können Sie dieses Wissen auf Ihre Vorsätze oder Ziele des Jahres anwenden?

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Literatur

Corbin, C. B. (1972). Mental practice. In W. P. Morgan (Ed.), Ergogenic aids and muscular performance (pp. 93–118). New York: Academic Press.

Feltz, D. L., & Landers, D. M. (1983). The effects of mental practice on motor skill learning and performance: A meta-analysis. Journal of Sports Psychology, 5, 25–27.

Ranganathan, V. K., Siemionow, V., Liu, J. Z., Sahgal, V., & Yue, G. H. (2004). From mental power to muscle power–gaining strength by using the mind. Neuropsychologia, 42(7), 944–56.