Wer wünscht sich nicht insgeheim mehr Macht im Alltag? Egal ob Partnerschaft, Job oder das Miteinander mit Familie und Freunden – mehr Kontrolle und Vorhersehbarkeit steht vermutlich auf der imaginären Liste eines jeden von uns.
Dieser geschätzte Gastbeitrag ist von Felix Langness!
„Die Macht ist mit uns“ – was Meister Yoda schon wusste ist für menschliche Beziehungen, insbesondere im beruflichen Kontext auch heute bedeutsam. Doch bevor es ins Detail geht, möchte ich versuchen, „Macht“ als Begriff zu beschreiben.
Für mich heißt „Macht“, dass sich ein Lebewesen in der Interaktion mit einem anderen Lebewesen so verhält, dass daraus ein neues, anderes, möglicherweise ungewolltes oder zumindest nicht selbst initiiertes Verhalten des zweiten Lebewesens folgt.
Ich finde, dass daraus zwei Dinge ableitbar sind:
- Die Ausübung von Macht braucht ein Gegenüber.
- Das veränderte Verhalten des Anderen ist Teil der Macht.
Beide Ableitungen kann man ansehnlich in sozialen Beziehungen erkennen, die einem gewissen Regelwerk entsprechen und eine beidseitige Hierarchiewahrnehmung beinhalten.
Die Machtverhältnisse sind in vertikalen sozialen Beziehungen besonders sichtbar, die im beruflichen Unternehmenskontext vornehmlich gut definiert sind. Hier sind Rollen, Regeln und Grenzen meist deutlich durch Stellenbeschreibungen ausgestaltet – weit deutlicher eben als im privaten Kontext.
Menschen, die im beruflichen Kontext gern Macht ausüben, tun dies insbesondere gegenüber „niedriger gestellten“ Personen.
Besonders hierarchisch ist in diesem Zusammenhang die Nutzung des Wortes „aufgehängt“: Herr Müller ist bei Frau Meier „aufgehängt“ – da ist die Konsequenz der Macht quasi schon in der Beschreibung der Zuordnung sichtbar.
Menschen üben Macht in Abhängigkeit ihres Selbstbildes, ihrer Wertemuster und der Interpretationen der Realität, die sie umgibt, aus. Im transaktionsanalytischen Sinne führt diese Abhängigkeit interessanterweise zu angepasstem oder zu kontrollierendem Verhalten – also machtempfangendem oder Macht ausübendem Verhalten.
Das bekannte Täter–Retter–Opfer-Spiel tritt in Kraft. Und genau darum dreht sich Macht auch:
- um Spiel,
- um das Austesten von Grenzen,
- das Erkennen eigener Stärke oder
- die Definition ungeregelter Bereiche.
Glücklicherweise bin ich gerade in der Lage, meinen 1½ jährigen Sohn in dieser Sache täglich beobachten zu können. Und siehe da: die Macht ist mit ihm.
Nehmen wir z.B. sein derzeitiges Lieblingsspielzeut, seine rote Schippe. Das liebgewonnene Stück Plastik begleitet ihn am Pool, am Strand, im Buggy, beim Essen, manchmal sogar beim Schlafen.
Strategien der Macht – ein kinder-leichtes Beispiel
Findet ein neuer Spielgefährte die Schippe sagen wir mal nicht ganz uninteressant, hat mein Sohn gleich eine ganze Palette an Verhaltensweisen parat, die ich für seine 18 Monate ziemlich ausgefeilt halte.
Strategie 1: dem Anderen die Schippe überlassen.
Meist ist dann irgendetwas spannender. Die psychologische Wertigkeit ist also gering und man spielt so mehr nebeneinander denn miteinander. Täter, Retter oder Opfer sind nicht auszumachen.
Grenzen austesten? Langweilig.
Regeln definieren? Fehlanzeige.
Eigene Stärke erkennen: Pustekuchen.
Keine Macht sichtbar.
Strategie 2: dem Spielgefährten die Schippe vor die Nase halten und dann kurz vor dessen zugreifen wegziehen.
Das hat dann schon was mit Macht zu tun, denn hier hat die Schippe eine hohe Wertigkeit und ist quasi Katalysator für das Spiel mit dem Anderen.
Im Vordergrund stehen hier die Erkenntnis der eigenen Stärke und das Testen der Toleranzgrenze des Gegenübers.
Nur eine Regel wird definiert: meine Schippe ist nicht gleich deine Schippe.
Mein Sohn wird zum Täter, das andere Kind zum Opfer und keiner rettet… zumindest so lange bis einer heult.
Strategie 3: Schippe gegen anderes Spielzeug – oder sehr beliebt auch etwas Essbares – tauschen.
Die Schippe verliert dadurch kurzzeitig an Bedeutung; sie wird aber zurückergattert, sobald das Essbare verzehrt ist oder das andere Spielzeug an Bedeutung verloren hat.
Dabei wird die Regel definiert: Tauschen ist so lange ok wie die Wertigkeit des getauschten Gegenstandes ähnlich hoch ist.
Dabei sind beide irgendwie Täter, aber so richtig machtvoll ist das auch nicht. Man kann also festhalten, dass das „Haben wollen“ wichtiger Bestandteil der Macht ist.
Der Weg bis zum Besitzanspruch ist nicht weit, genauso wenig wie die Definition des eigenen Wertes in Abhängigkeit, wie andere die eigene Person wahrnehmen, wie andere bewerten, was man sein Eigentum nennt. Und die Ableitung des eigenen Wertes eben in Abhängigkeit der Bewertung durch andere.
Macht in der Mini-Disco – (k)ein Verständnis von Verhältnissen
Selbst bei ganz kleinen Kindern sind schon Machtspiele zu beobachten. Vorgestern bei der Mini-Disco zum Beispiel.
Unser Sohn ist auf der Bühne und wippt teilrhythmisch mit. Ein anderer, unbekannter etwa 3-jähriger Junge stellt sich unserem Sohn unvermittelt frontal gegenüber, legt seine Fäuste(!) in die Hüfte und baut direkten Blickkontakt mit ihm auf.
Wir denken uns: Mal sehen was passiert, denn retten können wir ihn ja immer noch. Und was passierte war spannend und überraschend und irgendwie lehrreich.
Mein Sohn verstand schlichtweg nicht, dass er hier Opfer sein sollte. Er verstand die Macht- und Verhaltenserwartung des anderen Jungen nicht und ging deshalb auch nicht darauf ein. Weder mied er den Blickkontakt noch suchte er ihn. Er tanzte einfach weiter. Auch wenn sich das wirklich ganz markante „Arschlochkind“, um es mit Mittermeier zu sagen, sich ihm wieder und wieder in den Weg stellte.
Grandios.
Die eigene innere Freiheit, die Unabhängigkeit von den Normen, Strukturen und Regeln, die von dem oder den Anderen wahrgenommen werden – schlicht die Gelassenheit – macht es dem Gegenüber sehr schwer, Macht auszuüben.
Parallelen zum Berufsleben – Macht und Freiheit
Es stellen sich mehrere Fragen: Was wäre, wenn wir uns dieser Art von Macht im Job lossagen?
Wie können wir das? Wollen wir das überhaupt? Denn ich frage mich, ob nicht die eigentliche Macht in der persönlichen Freiheit und inneren Unabhängigkeit liegt.
Ob karrierebewusstes Agieren und gute Führung von Menschen nicht erst über innere Gelassenheit möglich ist, innerhalb von Systemen und Normen also erst mit innerer Unabhängigkeit von diesen Normen möglich wird.
Wenn dem so ist, dann hat das positive und weniger positive Konsequenzen.
Positiv ist: der Weg ist bekannt.
Er führt über Selbstreflexionen, also fortwährendes kritisches Hinterfragen eigener Motive und Schemata, die Überprüfung des inneren Wertesystems (dessen Ursprung und Ausprägung) und gleichzeitiger Distanzierung, z.B. Entspannungstechniken, zu einer stets bewussten Entscheidungsfindung bei dem Umgang mit machtbasierten Verhaltenserwartungen.
Negativ ist: All diese Methoden und Techniken sind bekannt, der Weg muss aber auch gegangen werden.
Und diesen Kompromiss aus disziplinierter Selbstgeißelung und innerer Lockerheit annäherungsweise zu erreichen – das ist ohne Hilfe aus meiner Sicht für die meisten Menschen unmöglich.
Eine mögliche Variante des Erfolges: Ein Lösungsversuch ist der Life-Coach, ein langfristiger Unterstützer des entspannten Selbstgeißelnden, der dieser Person über Funktionen und Firmen hinweg viele Jahre begleitet, ohne Abhängigkeiten zu schaffen.
Fazit
Ich finde allein den Gedanken interessant, dass wir den Sinn in der Macht mit dem Streben nach Unabhängigkeit verbinden können und dadurch weniger empfänglich sind für unbewusste Handlungen als Resultat von Machtbestrebungen anderer und gleichzeitig selbst machtvoller werden.
Die besten Führungskräfte, die ich kennen gelernt habe, waren gelassen, ohne lethargisch zu sein und haben in vielen Fällen eher frei und bewusst auf das Machtstreben anderer reagiert.
Sie haben sich nicht zum Spielball machen lassen.
Zum Abschluss ein schönes Zitat einer aktuellen Führungskraft:
Warum sollte ich mich darüber aufregen, was mein Geschäftsführer zu mir gesagt hat? Ich würde ihm dadurch nur Macht über meine Emotionen geben. Und das möchte ich nicht.
Die Macht sei mit euch – aber lasst euch nicht von ihr (ver)leiten.
Foto: Mazboot