Kennen Sie das Gesellschaftsspiel „Mafia„? Es handelt vom Kampf zwischen grundehrlichen Bürgern und den weniger ehrlichen Mafiosi. Was passiert in dem Spiel? Mitspieler werden zufällig Rollen zugeteilt (Mafiosi, Bürger, Detektiv, Seelenretter, etc.) und verhalten sich ihrer entsprechend während des Spiels. Die Mafiosi versuchen, die anderen Mitspieler nacheinander um die Ecke zu bringen oder sie gegeneinander aufzubringen (so dass sie sich selbst um eben jene bringen). Der Rest der Runde versucht, die „Bösewichte“ ausfindig zu machen, um jegliche Morde zu verhindern.
Abgesehen davon, dass es ein gerade für große Gruppen äußerst unterhaltsames Spiel darstellt, geschehen in und später möglicherweise auch später außerhalb der Spielerrunde interessante psychologische Dinge:
- man lügt und versucht auf diese Weise, seinen eigenen Plan durchzusetzen
- man ist skeptisch und hinterfragt die Aussagen anderer Mitspieler
- man bezichtigt andere, jemand zu sein, der er oder sie am Ende gar nicht ist
- man handelt und behandelt andere nach den Rollenvorgaben
- man wird überrascht von Personen, die im Spiel skrupelloser sein können als man es ihnen zugetraut hätte
Schlaumeier!
Sie kennen das möglicherweise: Jemand gibt Ihnen ein paar Infos über eine Ihnen noch unbekannte Person.
Einen baldigen Kollegen, einen zukünftigen Chef, einen Freund von einem Freund, mit dem Sie zu einer Veranstaltung mitfahren werden.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Sie die der noch fremden Person zugehörigen Fähigkeiten oder Eigenschaften besonders wahrnehmen oder darauf achten.
„Sie ist leicht zu haben“ könnte Sie dazu verführen, jeden Satz dieser beschriebenen Frau auf eine versteckte Anmache zu untersuchen.
„Er ist das größte Lästermaul, das ich kenne!“ könnte Sie dazu bewegen, besonders auf negative Äußerungen Ihres Gegenübers zu achten.
„Der neue Chef ist aus seinem letzten Job geflogen, weil er es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hat“ wird Sie hellhörig werden lassen und – ähnlich wie bei Mafia – hinterfragen oder zumindest skeptisch aufnehmen lassen, was der neue Chef sagt.
Genauso so funktioniert es mit positiven Informationen:
Sagt jemand zu Ihnen über jemand anderen „Er hat was!“, wird Sie das vielleicht entgegen Ihrer Präferenzen (als Frau) oder Sympathie (als Mann) diesen Jemand attraktiver finden lassen, als das möglicherweise sonst der Fall gewesen wäre.
„Sie hat Humor, das sich die Balken biegen!“ wird Sie mit großer Wahrscheinlichkeit offener gestimmt sein lassen gegenüber den (vermeintlichen) Witzen einer Person.
„Er ist der schlauste Schüler seiner Klasse“ wird Sie wahrscheinlich dazu bringen, diesen Jungen für intelligent und fähig zu halten und viel von ihm zu erwarten.
Und genau das testeten Robert Rosenthal und Lenore Jacobson in ihrem Experiment mit einer Grundschulklasse. Sie sagten Lehrern im Vorfeld, dass sie von einer Handvoll Schülern einen besonders großen Lernsprung erwarten könnten, denn diese Kinder hätten beim Harvard Test of Inflected Acquisition die besten Ergebnisse erzielt. Am Ende des Schuljahres hatten genau diese Schüler erwartungsgetreu den größten Lernsprung der gesamten Klasse (gemessen am IQ-Zuwachs).
Verwunderlich an dieser Stelle: es hatte im Vorfeld nie einen solchen Test gegeben und die „aufblühenden“ Schüler waren vorher zufällig ausgewählt worden. Die Studie zeigt in wunderbarer Weise, wie Veränderungen der Erwartungen der Lehrer auch (getreu der selbsterfüllenden Prophezeiung) zu Veränderungen der Schülerleistungen führen.
Dieser Effekt wurde nach seinem Entdecker auch zum Rosenthal- oder Pygmalion-Effekt.
Ob du denkst, du kannst es, oder du kannst es nicht: Du wirst auf jeden Fall recht behalten.
–Henry Ford
Wie viel Mafia-Boss steckt in Ihnen?
Für mich ist das aus Sicht der Positiven Psychologie extrem spannend, als dass auch Sie sie diese Erkenntnis hervorragend für Gutes nutzen können.
Test: Versuchen Sie es in Ihrer direkten Umgebung bei Ihnen fremden Menschen. Sie können ohne große Anstrengungen (wie schon in Ein kurioser Zoo oder: die Stärken-Brille beschrieben) nicht nur gute Eigenschaften entdecken, sondern dem jeweiligen Menschen ebenfalls ein positives Label, eine positive Schublade, ein wertvolles Vorurteil zuordnen.
Durch Ihre Erwartungen an diese Person werden sie (auch bereits früher als erst nach einem Jahr) erwartungsgetreue Fakten leichter aufnehmen, erwartungskonträre Dinge aber leichter selektiv ausblenden, so dass Ihr Bild und Ihre Erwartung höchstwahrscheinlich erfüllt werden.
Für ein Training oder die nette Runde zu Hause lässt sich dieser Effekt – ähnlich wie bei Mafia – schnell als Spiel erfahren: Geben Sie jedem Mitspieler (je unbekannter desto größer der Effekt) ein Label, dass er/sie sich so an das Oberteil heften soll, dass es selbst für ihn/sie nicht lesbar ist.
Danach diskutieren Sie über ein Thema Ihrer Wahl.
Machen Sie sich auf spannende Effekte gefasst!
Foto: sxc
Literatur
Rosenthal, R., & Jacobson, L. (1968). Pygmalion in the classroom. The Urban Review, 3(1), 16–20.