Wer schreibt heutzutage noch handschriftlich seine Gedanken auf? Und wann haben Sie das letzte Mal ein Buch an einem Stück gelesen? Ich meine, so richtig verschlungen?
Iat beides schon etwas länger her und kommt es zweitens auch nicht mehr so häufig vor? Dann habe ich einen Buch-Tipp für Sie. Und mit diesem beschreibe ich gleichzeitig ein mächtiges Werkzeug, das in der Positiven Psychologie erfolgreich erforscht wird.
Charlie schreibt und sucht Sinn
Das Buch ist Stephen Chborsky’s Das also ist mein Leben („The Perks of being a Wallflower“), indem der junge Charlie in seinem ersten Jahr Highschool wächst: an Problemen mit seinem Selbstbewusstsein, an Schwierigkeiten mit den Mädchen, an dem Gefühl, nicht dorthin zu gehören, wo er sich wiederfindet.
In den Briefen, die er an einen unbekannten „Freund“ schreibt, wird jedoch schnell und auf eine charmant indirekte Art deutlich, dass Charlie eine scharfsinnige Sicht auf die Welt um sich herum hat. Und der Versuch, durch all seine Beobachtungen einen Sinn zu finden, ist großartig. Tolle Charaktere, tiefsinnige Dialoge und (wenn Sie den Film dazu noch sehen) ein passender, emotionaler Soundtrack.
James Pennebaker schreibt Geschichte
Die Positive Psychologie zieht seit Jahren erstaunliche Ergebnisse aus dem, was Charlie in diesem Film so beneidenswert sensibel tut: schreiben. Falls Sie es nicht sowieso schon tun, habe ich hier ein paar interessante Fakten für Sie. Die werden es Ihnen schmackhaft machen, einmal mit dem Niederschreiben Ihrer Gedanken zu experimentieren. Oder mit dem Festhalten von Ängsten oder der liebsten Zukunft zu beginnen und sich auf ein paar für Ihr Wohlbefinden hilfreiche Effekte gefasst zu machen…
Der Psychologe James Pennebaker forschte schon vor geraumer Zeit nach, ob das Schreiben über traumatische oder bestürzende Erfahrungen die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen beeinflussen würde. Hätten Sie damals eines von Pennebakers Experimenten mitgemacht, Sie wären nur mit einem weißen Blatt Papier und einem Stift bewaffnet gewesen. Sie wären vor die Aufgabe gestellt worden, im Rahmen der Verschwiegenheit der Versuchsleiter über eines der für Sie erschütterndsten Erfahrungen zu schreiben. Zum Beispiel über die verlorene Liebe, über einen körperlichen Angriff auf Sie, über die Diagnose von Alzheimer bei Ihrer Mutter. Sie wären weiterhin gebeten worden, in allem Detail und mit den damit zusammenhängenden Emotionen darüber zu schreiben.
Das taten auch die vor 20 Jahren zu einem Experiment eingeladenen Schüler (Pennebaker, 1997): Sie sollten drei bis fünf Tage am Stück für 15 Minuten über ihre bedeutsamsten persönlichen Erfahrungen schreiben. Eine Kontrollgruppe würde die selbe Zeit schreiben, jedoch über neutrale Themen wie deren tägliche Aktivitäten, ihre Schuhe oder das Arrangement ihres Wohnzimmers.
Jene, die über sie emotional stark bewegende Erlebnisse schrieben, fühlten sich nach dieser Periode besser. Sie zeigten ein gesünderes Blutbild und funktionstüchtigeres Immunsystem. Auch besuchten sie deshalb in den Folgemonaten ihren Arzt seltener, erreichten bessere Noten in der Schule und fanden auch nach einer Arbeitslosigkeit schneller wieder einen neuen Job.
Diese Ergebnisse zeigten sich jedoch nicht nur für die amerikanische Gruppe von Schülern. Die Resultate waren – durch Folgestudien bestätigt – unabhängig von gesunden oder kranken, jungen oder alten, armen oder reichen Teilnehmern. Sie traten selbst unabhängig davon auf, ob die Teilnehmer aus Europa, Ostasien oder Nordamerika kamen.
Wer nur 2 Minuten schreibt…
Fazit einer Studie von der Uni Missouri: Schreiben ist gut für Sie – selbst, wenn Sie es nur wenige Minuten tun. Forscher um James Pennebaker baten darin 49 Studenten, sich zwei Minuten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Zeit zu nehmen. In diesen insgesamt vier Minuten sollten sie über etwas schreiben, das sie emotional signifikant fanden. Es brauchte keinen tiefen Blick nach innen, sondern lediglich das „Anstechen“ des Themas an einem Tag und das kurze Erforschen am nächsten, um die Dinge in Perspektive zu setzen.
Warum sind selbst so kurze Zeiträume so wertvoll und hilfreich?
Das Schreiben über eine Erfahrung in einem Tagebuch forciert den Schreiber, Gedanken und Bilder zu strukturieren und daraus eine stimmige Geschichte herzustellen. Durch die Natur der Sprache werden häufig auch kausale Strukturen gebildet (wie durch Worte wie „weil“, „dadurch“, „Ursache“). Wenn Sie durch das Schreiben daraufhin plötzlich merken, dass A dann B zur Folge hatte, kann das zu mehr Bedeutung und Verständnis der Situation führen. Letztlich kommt es auch zu einem Gefühl (oder der Illusion 😉 der Kontrolle. Erfahrungen, die strukturiert sind und eine Bedeutung haben, wirken wesentlich handhabbarer als völlig chaotische, sinnfreie Ereignisse.
Je häufiger Versuchspersonen kausale oder auch einsichtige Wörter („verstehen“, „erkennen“, „sehen“) im Verlauf des Experiments nutzten, desto größer war bei ihnen auch der positive Effekt auf die Gesundheit erkennbar (Pennebaker, Mayne, & Francis, 1997).
Geschichte(n)?
Der Prozess, aus Verwirrung Sinn zu stiften und eine Erzählung zu formen, kann zu schnellerer Akzeptanz vom Erzähler akzeptiert wird. Auch das „Ausspeichern“ der belastenden Gedanken auf Papier kann dabei helfen, die Last von den Schultern zu nehmen.
Manchmal kann es dann auch geschehen, dass diese Geschichte nicht mehr all die Fakten enthält, die tatsächlich vorhanden waren. Aber tun wir das nicht ohnehin die ganze Zeit? Eine Geschichte unserer selbst zu weben, die uns stimmig erscheint und uns möglichst gefällt?
Was meinen Sie?
Literatur
Pennebaker, J. W. (1997). Opening up: The healing power of expressing emotions. New York: Guilford Press.
Pennebaker, J. W., Mayne, T. J., & Francis, M. E. (1997). Linguistic predictors of adaptive bereavement. Journal of personality and social psychology, 72(4), 863.
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