Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, an wie vielen Ecken des Alltags es essentiell ist, das gute Zuhören?

Mir zum Beispiel ist es wichtig, dass derjenige, mit dem ich telefoniere, auch ganz bei der Sache ist. So stört es mich immens, wenn ich am anderen Ende eine brutzelnde Pfanne oder sogar den Schlag einer Computertastatur höre. Vielleicht, weil ich mich dann selber schlechter auf das Gespräch konzentrieren kann. Vielleicht, weil ich enttäuscht bin, nicht die volle Aufmerksamkeit zu bekommen (nein, es gibt kein Multitasking).

Hier weitere Beispiele, wo die Kunst des Zuhörens mir wichtig erscheint:

  • zur Aufnahme und bewussten Verarbeitung von Informationen im Generellen
  • zur Entwicklung von Sprache
  • zur Entwicklung von Beziehungen, z.B. durch das Beiwohnen der Geschichten und Erlebnisse anderer, also grundsätzlich zur Vertrauensbildung (wie sie beispielsweise auch in Zwiegesprächen stattfindet)
  • zur Achtsamkeit gegenüber und Wahrnehmung der Umwelt
  • auch gegenüber der inneren Welt, nämlich dem eigenen Körper (und dessen Zeichen für Wohlbefinden)
  • zur Erhaltung von Kreativität, Fantasie und Vorstellungskraft

Was erschwert uns das (gute) Zuhören?

Obwohl das Zuhören den größten Teil unserer täglichen Tätigkeiten einnimmt, behalten wir nur 20% von dem, was wir hören, weil der Großteil des Gehörten nicht in unser Bewusstsein gelangt. So ist das Zuhören eine der wichtigsten Fähigkeiten im Leben und wird trotzdem nicht in der Schule gelehrt…

Schlimmer als das fehlende Schulfach „Zuhören“ ist jedoch, dass wir durch die immer besser und effektiver werdenden technischen Hilfen diese Fähigkeit auch noch schwächen. Audio- und Videogeräte machen es möglich, Gehörtes tausendfach abzuspielen. Es ist ähnlich den Telefonnummern: warum sollte ich mir eine merken, wenn ich einzig wissen muss, wo sie abgespeichert ist?

Weiterhin wird der Ausbau dieser Fähigkeit im Alltag erschwert: es existiert so viel Krach um uns herum, dass es schwierig und zugleich ermüdend ist, über einen langen Zeitraum hinweg zuzuhören. Aufmerksamkeitsspannen sinken stetig und damit auch die Geduld, zu Ende zu hören. Es sind oft genug nur noch kleine Geräusch-Häppchen, die wir mitnehmen auf unserem Weg zum nächsten Impuls.

Und ist Krach erst einmal eine Zeit lang um uns herum, sorgen die eigenen Filter dafür, dass wir vorbeifahrende Züge, über’s Haus düsende Flugzeuge oder die 4-spurige Straße vor der Wohnung gar nicht mehr wahrnehmen, sondern ausblenden.

Jeder steckt in seinem Bewusstsein, wie in seiner Haut, und lebt unmittelbar nur in demselben:
daher ist ihm von außen nicht mehr zu helfen.
–Arthur Schopenhauer

Bewusstheit schafft Verständnis

Nicht nur im Coaching gehe ich davon aus, dass dem Mensch mir gegenüber schon alle Lösungen zur Verfügung stehen, die er für seine Probleme oder Ziele benötigt. Sie stecken in ihm und brauchen nicht von außen zugeführt werden.

Oft sind diese Lösungswege jedoch nicht bewusst und noch nicht zugänglich. Deshalb ist es hilfreich, diese Ressourcen „nach vorne“ zu holen. Genauso auch beim Zuhören. Denn bewusstes Zuhören schafft Verständnis. Ohne bewusstes Zuhören wird jedermanns Umgebung und die Welt insgesamt zunehmend zu einem Ort, an dem wir uns nicht verstehen, streiten, bekriegen und uns das Leben gegenseitig erschweren.

Energy flows where attention goes.
–Taneo Sands Kumalae

Dieses schöne Zitat hilft nicht nur in extra angesetzten Coachingsitzungen, sondern wird Ihnen auch im Alltag eine große Hilfe sein. Hier sind deshalb fünf Übungen, die das Zuhören stärken und gleichzeitig für bessere Wahrnehmung sorgen.

1. Ruhe

Justieren Sie Ihr Gehör für 3 Minuten täglich neu. Stille „zu hören“ kann sehr verwirrend sein. Wir sind es einfach nicht mehr gewohnt, denn auch, wenn wir morgens im Bett wach liegen, denken wir meist an andere Dinge und konzentrieren uns nicht auf das, was um uns ist.

2. „der Mixer“

„Der Mixer“ ist eine wunderbare kurze Übung, um die Qualität des Zuhörens zu steigern: Wenn Sie an einem Ort sind, der viele verschiedene Geräusche für Sie parat hält, richten Sie Ihren Fokus auf die verschiedenen Kanäle, die Sie hören. Die Personen neben Ihnen, der Vogel oben im Baum, der Presslufthammer in der Ferne, der näher kommende Rollkoffer, den Beat aus den überlauten Kopfhörern Ihres Sitznachbarn. Zählen Sie, wie viele Quellen Sie wahrnehmen.

3. einfache Geräusche aufnehmen

Konzentrieren Sie sich auf die Geräusche, die Sie täglich umgeben. Das Geräusch Ihrer Kaffeemaschine mit ihrem Blubbern, Röcheln und Tropfen. Das Geräusch der quietschenden Schienen des um die Kurve schiebenden Zuges. Oder das Surren oder Lüften Ihres Computers.

Auch diese Geräusche können interessanter werden, je mehr Aufmerksamkeit Sie ihnen schenken.

4. Zuhören ist auch Einstellungssache

So, wie Sie automatisch bestimmte Aspekte einer Nachricht wahrnehmen – die sachliche Info, die Beziehungsbotschaft, den dahintersteckenden Appell oder die Selbstoffenbarung des Sprechenden (mehr dazu auch bei Schulz von Thuns vier Seiten einer Nachricht) – so können Sie auch Ihre Einstellung des Zuhörens variieren.

Wie vorne beschrieben, können Sie fokussieren und aktiv zuhören oder Dinge nur nebenbei wahrnehmen. Sie können als Elefant zuhören und das große Ganze am Gesagten sehen, also vergrößern. Oder Sie hören mit spitzen Mäuseohren zu: auf Detailebene, im Mikrokosmos.

Sie können von Anfang an kritisch an jemanden herantreten und zuhören oder versuchen, ihn emphatisch zu verstehen. Letzteres lässt sich schön mit dem „Rollen-Zuhören“ kombinieren: sind Sie heute der fürsorgliche Vater/die pflegende Mutter, die „es ja nur gut meint“ oder hören Sie möglicherweise doch zu aus der Rolle des auf gleicher Ebene befindlichen Freundes?

5. Hörspaziergang

Da Zuhören nicht zuletzt ein Mittel der Kommunikation und ein wichtiges Instrument der Vertrauensbildung ist, können sie die letzte Übung alleine, aber noch viel besser zu zweit ausführen.

Gehen oder lassen Sie sich durch eine Ihnen wohl bekannte Gegend führen, z.B. Ihre Nachbarschaft oder auch Ihre Wohnung. Nehmen Sie wahr, wie sehr Sie sich im Alltag auf Ihren visuellen Sinn verlassen und welche Geräusche eventuell schon seit Jahren nicht mehr durch Ihre Filter gelangen.

Durch die Bewegung werden Sie auch verschiedene Intensitäten und Geräuschrichtungen wahrnehmen.

Every human being needs to listen consciously in order to live fully.
–Julian Treasure

Ich wünsche viel Spaß mit der Erkundung der Geräuschwelt. Wenn Sie Lust haben, hören Sie doch gleich nach dem Lesen einmal für ein paar Sekunden, was um Sie herum ist. Ich bin gespannt!

Quellen für weitere Experimente

Einige der genannten und noch viele weitere anregende Ideen finden Sie in Julian Treasures Buch „Sound Business„, das Geräusche auch unter seinem Nutzenaspekt in Unternehmen beleuchtet. Online frei zugänglich ist das Buch „Besser zuhören“ von Susanne Ulrich und Martin Hartung.