Was ist der iPhone-Effekt?

Sie kennen den iPhone-Effekt wahrscheinlich: Sie unterhalten sich in einem Café angeregt mit einem guten Freund/einer guten Freundin und plötzlich greift Ihr Gegenüber zum Handy auf dem Tisch und schaut auf das leuchtende Display. Doch egal, ob es nur ein kurzer Blick auf die Uhrzeit oder das Lesen einer ankommenden Nachricht war – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das Gespräch dadurch gestört wird.

Sie wissen nicht, ob Ihr Gegenüber sich langweilt, nicht gut zuhören kann, Zeitdruck hat oder ihn andere Sorgen plagen, die er gerade nicht mit Ihnen teilt.

Wir alle suchen auf eine Art nach Anerkennung und Wertschätzung bei unseren Mitmenschen. Wie schön es doch ist, von anderen für das, was man ist (oder darstellen will) gelobt, geschätzt, gemocht zu werden…!

Wie schmerzlich, wie unangenehm auf der anderen Seite, wenn man durch ein vermeintlich kleines Zeichen diese Anerkennung, den Respekt gegenüber der eigenen Person geschmälert sieht.

Sie wissen es nicht. Bis Sie nachfragen.
Und wer macht das schon gerne…?

Shalini Misra und ihre Kollegen haben nachgefragt (Misra et al., 2014). Und zwar, ob alleine die offensichtliche Präsenz eines Mobilgerätes bei einem realen Gespräch die Qualität beeinflusst.

Dazu untersuchten sie in Café und Coffee Shops in Washington ca. 10-minütige Gespräche zwischen 100 Gesprächspaaren, die (randomisiert) entweder über ein lockeres oder sinnhaftes Thema diskutierten. Ein ausgebildeter wissenschaftlicher Mitarbeiter beobachtete die Teilnehmer unauffällig aus der Ferne und stellte fest, ob Teilnehmer entweder ein mobiles Gerät auf dem Tisch platzierten oder in der Hand hielten.

Welchen Effekt hat die Präsenz von Mobiltelefonen auf Gespräche?

Misra und ihre Kollegen stellten fest, dass die Gespräche, in denen keine Mobilfunkgeräte anwesend waren, im Vergleich als (qualitativ) signifikant besser bewertet wurden als die Gespräche, in denen ein mobiles Gerät gegenwärtig waren. Das Spannende: Dieser Effekt war unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Stimmung der Versuchsteilnehmer (und ist natürlich nicht nur der iPhone-Effekt, sondern auch der Android-, Blackberry- oder wie-auch-immer-Ihr-Handy-heißt-Effekt).

Teilnehmer in handyfreien Gesprächen berichteten über eine höhere empathische Teilnahme ihrer Gegenüber (Zitat twittern). Selbst die Teilnehmer mit Gegenwart eines Blackberries, iPhones oder anderen mobilen Gerätes, die ebenfalls eine enge Beziehung zueinander hatten, berichteten über niedrigere Level von Empathie gegenüber Gesprächspaaren, die (ohne Handypräsenz im Gespräch) weniger miteinander verbunden waren.

Doch läuft es nicht immer so glimpflich ab.

Tod durch Überforderung

Am 23. September 2013 stand Nikhom Thephakayson in einem Zug nach San Francisco und fuchtelte wiederholt mit seiner Waffe Kaliber .45 herum. Völlig in ihre Tablets und Telefone vertieft, nahm ihn niemand der mehreren Dutzend anwesenden Passagiere war.
Bis er wahllos eine Kugel in den Hinterkopf des Studenten Justin Valdez feuerte.

Wie kann das passieren?

Cyber-based overload nennen Misra und Stokols (2012a) das Gefühl, von großen Mengen an Kommunikation und Information überfordert zu sein, die man Tag für Tag bewältigen und verarbeiten muss und dennoch am Ende vergisst, auf Nachrichten zu antworten. Durch Informations- und Kommunikationstechnologien hervorgerufen, beruht diese Überlastung auf Gesprächstransaktionen über z.B. Smartphones, Laptops und Tablets. Größtenteils, währenddessen man noch etwas anderes macht.

Ein Grund für solch eine tragische Unglücksgeschichte könnte die kognitive Überlastung sein, die durch geteilte Aufmerksamkeit hervorgerufen wird, weil unser Arbeitsgedächtnis schlichtweg nicht genug Kapazität hat und es uns somit erschwert, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden (Cain & Mitroff, 201).

Das Leben sollte vibrieren, nicht nur das Handy.
–KarlHeinz Karius
(Zitat twittern)

Eine steigende Anzahl von Studien zeigt den negativen Effekt von Handynutzung (wie z.B. texten, dem Wählen von Nummer und dem Telefonieren) auf die Kapazität der Aufmerksamkeit während einiger Aufgaben. Zum Beispiel zeigten Fahrsimulationen, während derer Individuen ihre Mobilfunkgeräte benutzten, dass diese sogar signifikant schlechtere Ergebnisse aufwiesen als betrunkene Teilnehmer (Strayer et al., 2006)!

Langsamer mit Handy

In einer anderen Studie fanden Hyman und Kollegen (2010) heraus, dass sich Handynutzer (im Gegensatz zu „handylosen“) ebenfalls bei Routineaufgaben wie dem Gehen langsamer bewegten, ihre Richtung häufiger änderten, andere seltener erkannten und eher der „inattentional blindness“ (Unaufmerksamkeitsblindheit) zum Opfer fielen (Simons, 2000).

Wir sind durch vergleichsweise neue Technologien dazu in der Lage, trotz Abwesenheit präsent zu sein, unserer Freiheit schnell nachzukommen, den Personen(kreisen) oder Dingen Aufmerksamkeit zu schenken, die wir für den Moment auswählen. Doch die Vorteile kommen nicht ohne Kosten, wie die Beispiele und Studien zeigen. Und manchmal sind die Kosten nur das „Phantom-Vibrations-Syndrom“ – das wahrgenommene Vibrieren des Handys, das nicht wirklich vibriert (Drouin, Kaiser, & Miller, 2012).

Wenn Sie noch weitere spannende und zum Teil erschreckende Fakten über die durchschnittliche Handynutzung erfahren möchten, lege ich Ihnen diese 15 englischen Minuten von Graham Hill nahe, dem Gründer von TreeHugger.

http://www.mindbodygreen.com/0-14612/signs-you-have-an-unhealthy-relationship-with-technology.html

Was können – oder wollen – Sie tun?

Falls Sie nur von Freunden gesegnet sind, die keine Smartphones besitzen oder diese bei Treffen in der Tasche und im Flugzeugmodus belassen – herzlichen Glückwunsch!

Möglicherweise stört es Sie desgleichen nicht, wenn Sie und Ihr Gesprächspartner nicht die gesamte Zeit Augenkontakt haben (obwohl bereits vier Minuten Augenkontakt am Stück Großartiges bewirken können! Aber dafür brauchen Sie Ihr Handy! ;).

Oder Sie empfinden es nicht als störende Einwirkung auf Ihre Nähe oder Beziehung zum Gesprächspartner, wie das viele andere wahrnehmen (Przybylski & Weinstein, 2013).

Ich habe dabei allerdings eine klare Meinung:

Es ist eine Sache von Respekt und Anerkennung des Gegenübers,
voll präsent zu sein.
(Zitat twittern)

Es ist eine wenig wertschätzende Aussage, mitten in Ihrem „echten“ Gespräch (vielleicht sogar noch ohne Entschuldigung) an Ihr Handy zu gehen und dem Vorrang zu geben, der am anderen Ende ist. Nur um später denjenigen anzurufen, dessen Zeit Sie nicht 100% nutzen wollten (denn es ist ja Ihre Entscheidung).

Daher schlage ich Ihnen vor, das Experiment zu unternehmen, für eine gewisse Zeit (eine Woche, 30 Tage, die gesamte Fastenzeit) zu versuchen, sich vollständig auf Ihren Gesprächspartner zu konzentrieren und dies im Gegenzug von ihm oder ihr zu erbitten.

Wenn Sie am Drücker sind

Hier mehrere Impulse, damit es Ihnen leichter fällt, Ihre Finger vom Smartphone zu lassen, während Sie sich unterhalten:

  1. Fragen Sie sich zu allererst: Wie wichtig ist mir mein Gegenüber? Falls der Drang nach dem Checken Ihrer Emails, SMS oder dem Anruf auf Ihrem Handy wichtiger ist, könnten zukünftige Treffen möglicherweise ausfallen und Telefonate ausreichen.
  2. Gehen Sie nach einer bestimmten Uhrzeit (z.B. nach 19 Uhr) oder an bestimmten Orten (Küche, Schlafzimmer, bei Papa) nicht mehr ans Telefon oder aktivieren Sie den Nachtmodus. Letzterer lässt bei vielen Handymodellen dringende Anrufe (d.h. mehrfach innerhalb kurzer Zeit angeklingelt) auch durch.
  3. Tauschen Sie am Anfang eines Treffens die Geräte (was mindestens zu ungewohnten Gesprächsthemen führen könnte).
  4. Lassen Sie Ihre Tochter (oder sich selbst 😉 vor einem Treffen Ihr Display mit schwarzer Tusche bemalen. Sieht stylisch aus, ist einerseits im Café umständlich freizukratzen, andererseits zu Hause leicht abwaschbar. Wenn Sie jemanden anrufen wollen, geht das bestimmt auch mit Siris Hilfe. 😉

Wenn der andere am Drücker ist

Und hier einige (teils nicht ganz ernst gemeinte) Ideen für den Fall, dass Ihr Gegenüber ans Handy geht oder gehen will:

  1. Bitten Sie Ihren Gesprächspartner kurz nach der Begrüßung um handyfreie Zeit. Möglicherweise gelangen Sie zudem schnell auf interessante Themen wie Ihre Werte und kommen eher zu einem tieferen und kontinuierlichen Gespräch.
  2. Fragen Sie, ob er/sie noch auf etwas Wichtiges wartet oder erinnert werden muss, ob Sie helfen und bei der Lösung des Themas helfen können.
  3. Sagen Sie Ihrem Gegenüber während des Textens oder Telefonierens „Grüß‘ schön!„. Gerne auch wiederholt bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
  4. Gehen Sie zu Ihrem telefonierenden Gegenüber, stellen Sie sich nah an sein/ihr Ohr und reden Sie – wie in einer netten 3er-Runde – fleißig mit. Beginnen Sie höflich, sich dem Ihnen möglicherweise unbekannten Anrufer vorzustellen.
  5. Schreiben Sie parallel eine SMS an Ihr Gegenüber und fragen: „Sollen wir lieber texten?“ Alternativ können Sie dafür auch zuerst auf die Toilette gehen, denn die meisten Menschen lassen sich die Abwesenheit ihres Gesprächspartners nicht entgehen und nutzen ihr Handy.
  6. Erzählen Sie nach der Störung Ihrem Gegenüber von Ihrem Experiment und fragen Sie ihn nach seiner Meinung zu dem Thema.
  7. Falls Ihr Gegenüber nicht ans Handy gegangen ist, bedanken Sie sich dafür und zeigen Sie damit, dass es Ihnen positiv aufgefallen ist. Selbst, wenn es keine Absicht Ihres Gegenübers war, wird Ihre Dankbarkeit einen positiven Effekt haben.

Haben Sie noch weitere Ideen oder bereits gute Erfahrungen gemacht? Ich bin gespannt auf Ihr Kommentar!

Viel Spaß beim Aufwerten Ihrer sozialen Kontakte.

 

Foto: Noelia Ruiz Photography

Literatur

Aron, A., Melinat, E., Aron, E. N., Vallone, R. D., & Bator, R. J. (1997). The experimental generation of interpersonal closeness: A procedure and some preliminary findings. Personality and Social Psychology Bulletin, 23(4), 363-377.

Cain, M. S., & Mitroff, S. R. (2011). Distractor filtering in media multitaskers. Perception, 40, 1183-1192.

Drouin, M., Kaiser, D. H., & Miller, D. A. (2012). Phantom vibrations among undergraduates: Prevalence and associated psychological characteristics. Computers in Human Behavior, 28, 1490-1496.

Hyman, I. E., Boss, S. M., Wise, B. M., McKenzie, K. E., & Caggiano, J. M. (2010). Did you see the unicycling clown? Inattentional blindness while walking and talking on a cell phone. Applied Cognitive Psychology, 24, 597-607.

Misra, S., Cheng, L., Genevie, J., & Yuan, M. (2014). The iPhone Effect: The Quality of In-Person Social Interactions in the Presence of Mobile Devices.Environment and Behavior, 1-24.

Przybylski, A. K., & Weinstein, N. (2013). Can you connect with me now? How the presence of mobile communication technology influences face-to-face conversation quality. Journal of Social and Personal Relationships, 30, 237-246.

Simons, D. J. (2000). Attentional capture and inattentional blindness. Trends in Cognitive Science, 4, 147-155.

Strayer, D. L., Drews, F. A., & Crouch, D. J. (2006). A comparison of the cell phone driver and the drunk driver. Human Factors: The Journal of the Human Factors and Ergonomics Society, 48, 381-391.