„Du kannst andere nicht ändern, du kannst nur dich selbst ändern.“
So klingt ein Satz, der Eigenverantwortung anzieht.
So klingt ein Satz, der deinen Fokus vom Wunsch, die anderen zum Funktionieren zu bringen, wegführt.
Verantwortungsvoll. Sauber. Bullshit.

Natürlich kannst du andere Menschen ändern.
Mit Fäusten.
Mit Ketten.
Mit dem, was du aussprichst – oder verschweigst.

Es reicht ein „Du kannst das nicht.“
Es reicht ein „So warst du ja schon immer.“
Frag mal ein Kind, das Angst vor deinem Nein hat.
Frag mal eine Partnerin, die lieber schweigt, als noch mal deine Stimmung zu spüren.
Frag dich selbst: Wie oft hast du funktioniert, damit es für andere bequemer bleibt?

Es sind nicht immer die großen Schläge.
Manchmal ist es ein enttäuschter Seufzer.
Manchmal ein genervter Blick, wenn dein Gegenüber aufblühen will.
Manchmal ein Lob an der falschen Stelle, das dein Gegenüber klein hält, weil es ihm weismacht: Genau so – und nicht weiter.

Veränderung ist nicht optional.
Sie passiert immer.

Warum wollen wir eigentlich die anderen ändern?

Manche bauen Mauern, andere Türen.
Manche reden Macht, andere Vertrauen.
Manche machen Regeln, andere halten Räume.

Warum fangen wir so oft bei anderen an?
Weil Macht oft bequemer ist als Ehrlichkeit.
Weil wir die Angst, die kontrollieren will, kennen.

Hier sind 5 ehrliche Gründe, warum wir versuchen, andere zu formen:

1. Angst vor Kontrollverlust

Wenn andere sich so verhalten, wie wir es wollen, wird die Welt für einen Moment vorhersehbar. Das Chaos beruhigt sich. Der Kontrollverlust bleibt aus. Wer andere kontrolliert, muss die eigene Unsicherheit nicht fühlen.

Weil es einfacher ist, fremdes Chaos zu ordnen als das eigene zu halten.

2. Bequemlichkeit

Wenn sich andere anpassen, müssen wir uns nicht verändern. Keine Konflikte, keine Schattenarbeit, kein Wachstumsschmerz. Nur kurzfristiger Frieden. Der Preis: leider gibt es dann keine echte Verbindung.

Und was ist Bequemlichkeit?
Sie ist der feine Trick des Egos, das sagt: „Wenn du andere klein machst, musst du dich nicht groß machen.“

3. Identitätsschutz

Wenn jemand anders lebt, liebt oder denkt, als wir es tun, fühlt sich das schnell wie ein Angriff auf unser Weltbild an. Eine narzistische Kränkung. Also versuchen wir, die andere Person „zurück“ zu holen – in unsere Realität. Die kennen wir gut. Die können wir viel besser verstehen, als die der anderen.

4. Verschiebung von Verantwortung

Wenn andere sich verändern, müssen wir nicht hinschauen, wenn es schief läuft. Dann war „ihr Verhalten“ das Problem, nicht unser Schmerz, nicht unsere Reaktion.

Es ist einfacher, das Verhalten des anderen zu fokussieren als den eigenen wunden Punkt.

5. Loyalitätsverwechslung

Manchmal wollen wir andere auch ändern, um ihnen zu „helfen“. Aber was wir wirklich wollen: Dass sie sich so verhalten, dass wir uns besser fühlen, glücklicher sind und ihren Schmerz nicht zu unserem werden lassen müssen.
Getarnt als Fürsorge. In Wahrheit: Angst, dass die anderen uns entgleiten.

Tröstest du dein Gegenüber, weil du dessen Traurigkeit nicht aushältst? Oder weil du als Retter:in deinen Selbstwert erhöhen kannst?

 

 

Stell dir vor, jemand will dich ändern – ohne dich zu fragen

„Mach das bitte anders.“ „So kann ich nicht mit dir sein.“ „Ich möchte, dass du dich da anpasst.“

Wie oft hast du das erlebt? Wie oft hat dich jemand nicht gesehen, sondern geformt? Wie oft hast du dich angepasst, um nicht verloren zu gehen oder dich isoliert zu fühlen?

Und: Wie oft warst du wütend oder erschöpft, wenn jemand dich ändern wollte, ohne deine Zustimmung?

Auch hier lohnt der Perspektivwechsel: Haben wir den Auftrag, das Gegenüber zu verändern?
Wenn wir uns auf unsere eigene Persönlichkeitsentwicklung konzentrieren, brauchen wir keinen Auftrag.
Wir brauchen nur die eigene Klarheit finden, dass wir das auch wollen.

Und uns dann dafür entscheiden, den ersten Schritt zu gehen, Enttäuschung in Kauf zu nehmen, manchmal Hilflosigkeit, Wut, Trauer, Scham oder Schuld zu fühlen – aber dafür lebendig im Leben zu stehen, als nur durchzukommen.

Wachstum ist: Akzeptieren, was du ändern kannst und dann loszulassen

Ja, akzeptiere, was du nicht verändern kannst.
Aber beginne auch die Menschen und Dinge zu akzeptieren, die sich von dir ändern lassen. Freiwillig. Oder unfreiwillig.
Entscheidend ist das Bewusstsein, dass das passiert.
Und ein Leben zu führen, das dir und anderen positiv dient.

Wachstum heißt, den Sturm in dir zu spüren – und nicht sofort alles draußen stillzustellen.
Wachstum heißt, bei dir zu bleiben, während andere laut werden.
Wachstum heißt, dass dein Nein nicht aus Bequemlichkeit kommt, sondern aus Klarheit.
Wachstum heißt, dass du deine Trigger nicht als Waffen benutzt, sondern als Kompass.

Ich habe Jahre gebraucht, um zu begreifen:
Es ist so leicht, Kinder mit Faulheit zu dirigieren, Partner:innen mit dem eigenen Drama zu erziehen, Freund:innen passiv aggressiv zu maßregeln.
So leicht, weil sie dich lieben.
So leicht, weil sie (erstmal…) bleiben.
So leicht, weil sie auch Angst haben, dich zu verlieren.

 

 

Loslassen schafft Platz

Die Veranwortung beim Gegenüber belassen, wenn es deren Verantwortung ist.
Die eigene übernehmen, wenn es wirklich deine ist.
Beides schafft Freiheit – auf ganz unterschiedliche Art.

Was wäre, wenn wir den Mut hätten zu sagen:

„Ich glaube, ich will dich gerade ändern, weil ich mich selbst nicht halten kann. Weil mir das hier gerade zu nah, zu laut oder zu unbequem ist. Tut mir leid.“

Das wäre kein Rückzug. Sondern Reife.
Keine Selbstaufgabe. Sondern Eigenverantwortung.
Keine faule Manipulation. Sondern verletzliche und echte Nähe.

Wenn wir das sagen, verändern wir Menschen vielleicht wirklich – aber nicht, weil wir sie drängen.
Sondern weil wir uns zeigen.

Die Welt verändert sich sowieso. Mit jeder Interaktion.
Bleibt nur deine Entscheidung:
Bist du der überwältigende Sturm – oder die liebevolle, verletzliche Einladung?

 

 

5 Inspirationen für echte Veränderung (bei dir und anderen)

Vielleicht fängt es damit an, dass du deine Räume entrümpelst, bevor du Köpfe einrichtest.
Vielleicht, dass du ein Nein weniger verteilst – oder endlich ein klares setzt, wo es gebraucht wird.
Vielleicht, dass du „So bist du halt“ ersetzt durch: „Ich seh dich. Und ich bleib, während du wächst.“

1. Sag, was in dir passiert, nicht was der andere tun soll. „Ich merke, mir schnürt’s gerade die Kehle zu.“ statt „Du bist schon wieder so laut.“

Beobachte deine Lieblingsformulierungen, mit denen du anderen leise Grenzen setzt: „Du kannst das nicht.“ – „Dafür bist du nicht der Typ.“ Frag dich: Will ich gerade Kontrolle – oder Verbindung? Sprich deine Verletzlichkeit aus, denn sie macht Beziehung oft weiter.

Dein Sturm ist dein Kompass. Lerne deine inneren Reaktionen kennen. Schreib auf, wann du spürst: Ich will dich jetzt kontrollieren, damit ich mich nicht spüren muss.

2. Beziehung vor Erziehung: Öffne Räume, bevor du sie reglementierst. Zeig, wie du es machst – aber lass offen, ob andere mitgehen. Mutig anderes Verhalten (z.B. Dankbarkeit) zu zeigen, kann andere inspirieren, sich auch zu verändern. Und vielleicht sogar deinem Verhalten und deinen Werten näherzukommen.

3. Halte deine Impulse: Du musst nicht sofort reagieren. Nicht korrigieren. Nicht retten. Manchmal reicht Stille, um Raum zu schaffen. Raum zur Entfaltung, raum zur Regulation von Emotionen. Raum, gehört und gesehen zu werden.

4. Lass anderen ihre Realität: Nur weil du es anders machen würdest, ist ihre Version nicht falsch. Unterschied ist häufig kein Angriff, sondern die wunderbare Andersartigkeit der Menschen.

Stell vielleicht einmal mehr Fragen, statt zu senden: „Wie war das für dich?“ statt „Du übertreibst.“
Fragen öffnen. Sätze schließen.

5. Erinnere dich: Verbindung vor Verbesserung. Wenn Beziehung das Ziel ist, muss Veränderung manchmal warten. Und manchmal geschieht Veränderung auch genau aufgrund der vorhanden (oder fehlenden) Beziehung.

Wenn du nur einen der 5 Ideen für (deine eigene 😉 Veränderung ausprobierst, besteht die Gefahr, dass dein Leben nahhafter, lebendiger, vielfältiger wird. Ich hab dich gewarnt…

 

 

5x Deep-Dive zu „du kannst andere nicht ändern“

Warum wir lieber andere steuern, als uns selbst halten

Kontrolle gibt das Gefühl von Sicherheit. Psychologisch betrachtet reduziert sie Angst – kurzfristig. Doch wer immer nur außen regelt, trainiert innen keine Stabilität. Menschen, die mit ihren Ängsten arbeiten, brauchen weniger Machtspielchen. Selbstführung ist kein Luxus, sondern Grundvoraussetzung für reife Beziehungen. Wer sich selbst halten kann, muss andere nicht bändigen.

Wie Sätze Identität prägen – und Beziehungen bremsen

„So bist du halt“ wirkt wie ein Stempel. Was als scheinbare Beobachtung daherkommt, programmiert innere Grenzen. Carol Dweck zeigte mit ihrer Mindset-Forschung: Feste Zuschreibungen hemmen Entwicklung. Veränderung braucht Sprache, die offen bleibt – nicht vorsortiert. Wer „Du kannst das lernen“ sagt, ermöglicht Wachstum. Wer es nicht tut, verhindert es.

Angst bindet – Vertrauen befreit

Die Bindungstheorie zeigt: Menschen bleiben oft angepasst – aus Angst. Wer droht, entzieht oder manipuliert, erzeugt Bindung, aber auf ungesunder Basis. Vertrauen bedeutet: Du darfst sein. Du darfst dich zeigen. Das schafft Freiheit und echte Nähe – nicht perfekte Leistung.

Selbstführung statt Mikromanagement

Führung beginnt innen. Otto Scharmer beschreibt in seiner Theory U, wie innere Klarheit zur äußeren Wirkung führt. Wer seine inneren Konflikte nicht kennt, inszeniert sie im Außen (das nennt das Universum dann „Lernchancen“ ;-). Wer die Konflikte halten kann, wird ruhiger, klarer, resonanter. Selbstführung ist die Basis für Führung mit Herz und Rückgrat.

Loslassen als Einladung

Die Positive Psychologie betont: Nicht Kontrolle verändert Menschen – sondern der Raum, den du ihnen gibst. Wenn du Erwartungen loslässt, entstehen Möglichkeiten. Wenn du präsent bist, entsteht Vertrauen. Und wenn du Menschen sein lässt, statt sie zu optimieren, entsteht oft genau die Veränderung, die du dir gewünscht hast.

 

 

Literatur

Bowlby, J. (1969). Attachment and loss, Vol. 1: Attachment. Basic Books.

Brown, B. (2012). Daring greatly: How the courage to be vulnerable transforms the way we live, love, parent, and lead. Avery.

Dweck, C. S. (2006). Mindset: The new psychology of success. Random House.

Kabat-Zinn, J. (2003). Mindfulness-based interventions in context. Clinical Psychology: Science and Practice, 10(2), 144–156. https://doi.org/10.1093/clipsy.bpg016

Scharmer, C. O. (2018). Theory U: Leading from the future as it emerges. Berrett-Koehler Publishers.

Seligman, M. E. P. (2018). A Psychologist’s Journey from Helplessness to Optimism. PublicAffairs.

Und ein 2011 entstandener eigener Artikel zum Thema Veränderung beginnt bei dir selbst.

Michael Tomoff
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