Positive Psychologie für Eltern zu nutzen, ergibt eine Menge Sinn. Im vorherigen Artikel haben Sie gesehen, was die Wissenschaft über das Vorurteil sagt, Eltern seien unglücklicher als Menschen ohne Kinder und die Möglichkeiten, sie mit der Hilfe der Positiven Psychologie großzuziehen. Oder wie ein Helikopter über ihnen zu schweben und sie vor allem Übel dieser Welt zu beschützen…
Positive Psychologie für Eltern – zwiegespalten?
Wahrscheinlich stehen Sie – wie viele andere Eltern, die über Möglichkeiten der Positiven Psychologie beim Aufziehen Ihrer Kinder lesen ebenfalls – mehreren zwiespältigen Situationen und Entscheidungen gegenüber:
- genug Freiheit und Freiraum für Ihre Kinder zu schaffen, damit sie sich in jeder Situation gut entwickeln können… aber nicht zu viel Freiraum, so dass sie eine gefährliche (Schief)Lage vermeiden können
- eine Umgebung zu bieten, in der sich die Kids geschützt und aufgehoben fühlen… aber nicht zu viel Schutz, so dass ihnen die Möglichkeit wichtiger Lernerfahrungen über Autonomie und Durchhaltevermögen genommen wird
- sie aufgrund Ihrer Erfahrungen in die „richtige Richtung“ zu dirigieren, so dass sie sich entfalten und ihren positiven Teil zur Gesellschaft beitragen… aber nicht zu viel Richtung, so dass ihre natürlichen Interessen und Ambitionen abgewürgt werden
- die Werkzeuge extrinsischer Motivation zur Lösung verschiedenster Probleme zu nutzen (Belohnung oder Bestrafung)… und gleichzeitig die intrinsischen Antreiber Ihrer Kinder nicht zu untergraben und sich abhängig von jenen externen Kräften zu fühlen („Mähst du den Rasen?“ – „Wie viel kriege ich denn dafür?“)
- stets ihre Grenzen und Verbesserungsfelder im Blick zu behalten… und gleichermaßen nicht zu verpassen, ihre natürlichen Stärken zu fördern, sie zu feiern und zu vervielfältigen
- ihnen Werte wie Besonnenheit, Vorsicht, Weisheit oder Selbstkontrolle für turbulente Zeiten mitzugeben… aber nicht so viel davon, als dass Hoffnung, Optimismus, Begeisterung und Neugier getrübt werden oder völlig verschwinden (wenn das überhaupt möglich ist)
Ich denke, viele Eltern pendeln von einer Seite zur anderen und haben überwiegend das Gefühl, hinterher zu bleiben als „einen guten Job“ zu erledigen. Und wahrscheinlich sehen sie erst, was sie geschafft haben, wenn ihre Kinder erwachsen sind und sich als Mensch unter die Lupe nehmen. Im zweiten Teil von Positive Psychologie für Eltern: glücklicher oder nicht? möchte ich Ihnen fünf weitere Studien vorstellen, die Ihnen das Leben als Eltern einfacher und netter machen bzw. Ihren Kindern mehr Ressourcen verschaffen könnten.
1. von „Glucken“ und „Rabenmüttern“
Im ersten Teil haben Sie bereits über „Elternparanoia“ gelesen und was es bei Ihren Zöglingen anrichten kann. (Noch) Viele Frauen berichten, dass die Erziehung und Pflege ihrer Kinder stressiger ist als ihr Job und können es kaum erwarten, wieder etwas „mit ihrem Kopf“ machen zu können, ihre (anderen) Fähigkeiten einzusetzen und von Zuhause raus zu kommen. Das tun immer mehr Frauen.
Ein schlechtes Gewissen ist oftmals die Folge. Und ein schlechtes Gewissen kann ebenso stressen – auch ohne die vielen stummen Blicke, die „Rabenmutter!“ rufen oder andere Vorurteile bedienen.
Rizzo et al. (2012) fanden in ihrer Studie anhand von 181 Müttern von Kindern unter 5 Jahren heraus, dass insbesondere die Mütter einen Hang zu Depressionen zeigten, die eine extrem intensive Beziehung zu ihren Kindern hatten. Insbesondere Mütter, die die Einstellung vertraten, dass ihre Kinder heilig und Frauen bessere Eltern seien als Männer, bekamen mit höherer Wahrscheinlichkeit Depressionen und hatten eine geringere Lebenszufriedenheit.
Das Fazit daraus: Ja zur sensiblen Pflege der Kids, aber Nein, wenn es zu Lasten der eigenen mentalen Gesundheit geht!
2. Hausarbeit ja, aber bitte gemeinsam
Geteiltes Leid ist dem Volksmund nach bekanntlich halbes Leid. Hausarbeit kann ein solches Leid darstellen. 😉 Eltern haben eine Vorbildfunktion – auch beim Ausüben von häuslichen Pflichten. Ich nehme an, dass Hausarbeit bei den meisten Familien auf Platz 1 der Gründe für Streitigkeiten steht. Und wenn sich Eltern mehr über die häuslichen Aufgaben streiten als die Zeit in die Erziehung ihrer Kinder zu investieren, dann macht das Wachsen weder für Eltern noch für ihre Kinder Spaß.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass mir die Damen unter Ihnen zustimmen, wenn ich schreibe: Männer könnten häufiger mal zu Hause mit anpacken (sorry, liebe Herren, dass ich Ihnen hier so in den Rücken falle). Das ist jedoch nicht das alleinige Ergebnis der Studie von Galovan und Kollegen (Galovan et al., 2013). Der Trick, sich schon bei den häuslichen Aufgaben die Energie und das Wohlbefinden für die Erziehung der eigenen Kinder zu holen, liegt im gemeinsamen Ausführen der Aufgaben.
Ob er bügelt, während sie abwäscht, er staubsaugt, während sie ihm nass hinterherwischt – wenn Partner die Hausarbeit zur gleichen Zeit erledigen, haben sie nicht nur mehr gemeinsame Zeit, sondern laut Studie gleichfalls eine höhere Zufriedenheit. Und wenn der eigene Nachwuchs endlich auch auf die verstaubten Schränke kommt, steht einem gemeinsamen Putzmorgen am Samstag mit begleitender Musik nichts mehr im Weg, um das energiereiche und hoffentlich streitarme Wochenende einzuläuten!
3. Fernsehen macht blöd
Ok, so dramatisch und unkonkret haben es Pagani und Kollegen nicht formuliert, aber die Konsequenz könnte genau diese Aussage sein. Pagani begleitete bei fast 2.000 kanadischen Kindern ab der Geburt die Gewohnheit des Fernsehens und fand heraus, dass für 2,5-Jährige eine Extra-Stunde vor der Flimmerkiste signifikant schlechtere Leistungen im Kindergarten hervorsagte, und zwar bezogen auf Vokabular, Mathematik- und motorische Fähigkeiten (Pagani et al., 2013). Die Leistungen waren bei den später 5-Jährigen schlechter mit jeder weiteren Stunde fernsehen. Aus diesem Grund sagen amerikanische Kinderärzte, dass zwei Stunden fernsehen pro Tag das Maximum für über 2-Jährige bleiben sollte.
Davor sollten Kinder den Fernseher höchstens beim Vorbeistraucheln abstauben… (Zitat twittern)
4. Bewegung und steigende Schulleistungen
(Nicht nur) Kinder sitzen immer häufiger. Neben zahlreichen anderen positiven Nebeneffekten stärkt körperliche Betätigung auch die Hirn-Power. Booth und Kollegen fanden in einer Studie mit 11-Jährigen und ihren Leistungen in Mathe, Englisch und Naturwissenschaften heraus, dass mäßige bis kräftige Körperübungen diese maßgeblich steigerten (Booth et al., 2013). Dieser Gewinn aus den Übungen wurde desgleichen in Prüfungen von 16-Jährigen festgestellt. Erstaunlicherweise hatten Mädchen in ihren naturwissenschaftlichen Prüfungen den größten Nutzen davon.
5. Warum Geschwister so verschieden sind – und warum das gut ist
Eltern von mehr als einem Kind wissen eines: die Persönlichkeiten der Geschwister sind häufig extrem unterschiedlich. Auch Sie können das leicht überprüfen, falls Sie ein Geschwister haben. Würden Sie sagen, Sie und Ihr(e) Geschwister sind sich sehr ähnlich? Wahrscheinlich nicht. Das fanden zumindest Plomin and Daniels (1987) in ihrer Studie heraus. Häufig haben Geschwister – auf persönlicher Ebene – nicht mehr gemein, als zwei nicht miteinander verwandte Fremde. Seltsam, sind doch 50% der Gene identisch… Geschwister haben zwar einen gleichen Teil von Genen in sich, aber…
- …eine unterschiedliche Beziehung zu den Eltern,
- …eine unterschiedliche Beziehung zum jeweils anderen Geschwister,
- …unterschiedliche Freunde,
- …ebenso unterschiedliche Erfahrungen in Kindergarten, Schule und Beruf…
und so weiter und sofort. Sie können sich vorstellen, dass all diese Unterschiede in den Erfahrungen addiert eine extrem unterschiedliche Umwelt von der des Geschwisters schaffen kann. Und das bedeutet, dass wir uns als Eltern zwar vornehmen können, aus den Erziehungs“fehlern“ mit dem einen Kind zu lernen und es beim anderen „richtig“ zu machen – voraussichtlich können wir uns aber nicht auf unsere Lernerfahrung verlassen, sondern bleiben dabei: Jedes Kind ist anders und benötigt demnach eine andere Erziehungsstrategie. (Zitat twittern)
Zwar ist das anstrengender für Eltern, gleichzeitig aber vielfältiger, was Stärken und Fähigkeiten betrifft. Und darüber können Sie sich ja noch genügend wundern und staunend betrachten, welche Fähigkeiten in Ihren Knirpsen stecken. Eines ist aber klar: die Positive Psychologie und ihre vielfältigen Mittel und Wege, mehr Wohlbefinden zu schaffen, ist immer einen Blick wert! Und welches Kind dürfte es schon blöd finden, wenn Eltern dessen Stärken förderten oder dem Kind Flow-Erlebnisse verschafften…?!
Falls Sie mehr Interesse an diesen Themen haben und merken, dass die Positive Psychologie für Eltern nicht nur interessant, sondern auch schon jetzt hilfreich für Sie war, schauen Sie doch mal in mein Buch „Positive Psychologie in der Erziehung (Für Eltern und andere Erziehende)„. Das wird wahrscheinlich noch eine ganze Menge weiterer Schmankerl für Sie bereit halten! 🙂
Fotos: Julie Harris
Literatur
Booth, J. N., Leary, S. D., Joinson, C., Ness, A. R., Tomporowski, P. D., Boyle, J. M., & Reilly, J. J. (2014). Associations between objectively measured physical activity and academic attainment in adolescents from a UK cohort. British journal of sports medicine, 48(3), 265-270.
Galovan, A. M., Holmes, E. K., Schramm, D. G., & Lee, T. R. (2013). Father Involvement, Father Child Relationship Quality, and Satisfaction With Family Work: Actor and Partner Influences on Marital Quality. Journal of Family Issues.
Pagani, L. S., Fitzpatrick, C., & Barnett, T. A. (2013). Early childhood television viewing and kindergarten entry readiness. Pediatric research, 74(3), 350.
Plomin, R., & Daniels, D. (1987). Why are children in the same family so different from one another?. Behavioral and Brain Sciences, 10(01), 1-16.
Rizzo, K. M., Schiffrin, H. H., & Liss, M. (n.d.). Insight into the Parenthood Paradox: Mental Health Outcomes of Intensive Mothering. Journal of Child and Family Studies, 22(5), 614–620.
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