Prägende Momente zu erinnern, ist nicht einfach. Es ist schwierig genug zu definieren, was überhaupt ein Moment ist. Gerade deshalb ist es essentiell, dass Sie sich einen Augenblick (=Moment) Zeit nehmen, um einige dieser besonderen Zeitpunkte zu erinnern.

Fakt ist: (prägende) Momente machen uns aus. Sie ließen uns zu dem werden, was wir sind und formen uns in unserer Persönlichkeit, unserem Verhalten, unserem Empfinden.

Wenn uns andere vertrauen

Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit meinem früheren Chef. Es war das jährliche Mitarbeitergespräch, in dem wir Zielvereinbarungen besprachen und Gutes sowie weniger Gutes aufarbeiteten.

Mein Chef nahm diese Gespräche wichtig und natürlich hatte er sich nicht nur Gedanken über seine Wahrnehmung gemacht, sondern sich ebenfalls vorher bei Kollegen informiert, was sie über das Jahr hinweg an Erfahrungen mit mir gesammelt hatten.

Ein Teil seines Feedbacks überraschte mich: Die Art, die ich auch bei Kunden an den Tag legte, wäre nicht nur humorvoll, sondern teilweise flapsig und hart an der Grenze zum Unseriösen. Dazu sagte er etwas, was für mich eine völlig andere Sichtweise eröffnete:

Ich denke, du solltest dir deine Art beibehalten. Sie macht dich besonders und hebt dich vom Rest ab. So bleibst du dem Kunden im Gedächtnis. Und solange du keine schlechten Erfahrungen damit machst…

Dieser Moment in meiner Karriere war ein prägender für mich.
Ein mich prägender.

Stärken und Werte in Aktion

Die Stärke meines Chefs gab mir die Chance, ich zu bleiben und keine Rolle anzunehmen. Er sah in mir Humor und Neugier – zwei Stärken, die mich von anderen absetzten. Und er ermutigte mich, sie weiterhin einzusetzen.

Humor und Neugier nehmen schon lange einen großen Teil meines Lebens ein und beeinflussen Freundeskreis, Aktivitäten und vieles andere. Die Möglichkeit, diese zwei Eigenschaften in verschiedenen Situationen des privaten und beruflichen Lebens einzusetzen, wirkt auf meine Identität. Stärken einzusetzen, stärkt natürlich auch die Identifikation mit ihnen.

So betrachtet war es ein Moment in meinem Berufsleben, der die Weiche legte für mehr Mut zum Ausleben einer für mich positiven und wichtigen Eigenschaft. Ein Moment, der nicht nur Eigenschaften hervorhob, sondern ebenfalls eine zwischenmenschliche Beziehung prägte.

Aufmerksamkeit auf prägende Momente

Den Fokus auf diese äußerst wichtigen Momente im Leben zu legen, kann uns nicht nur helfen, unsere Identität besser zu verstehen, sondern uns ebenfalls klarmachen, dass wir eine aktive Rolle und damit großen positiven Einfluss auf unser eigenes Leben nehmen können.

Und wie so vieles andere kann diese Achtsamkeit geübt werden. Die Übung für prägende Momente kann in vier einfachen Schritten vorgenommen werden.

1. der prägende Moment: Benennen Sie einen Moment in Ihrem Leben, der einen positiven Effekt auf Sie hatte. Vorzugsweise nehmen Sie einen Moment, in dem Sie in irgendeiner Weise aktiv waren und eine Maßnahme ergriffen. Das braucht kein großer oder dramatischer Moment sein, denn auch kleine Momente (wie im Beispiel meines Chefs) können eine Bedeutung haben.

2. die dazugehörige(n) Charakterstärke(n): Listen Sie die Charakterstärken auf, die Sie in dieser Situation nutzten. Welche Ihrer Stärken stach heraus und wie genau konnten Sie sie nutzen? An anderer Stelle ist bereits beschrieben, welche Stärken auch wissenschaftlich im Fokus stehen und wie Sie Ihre größten herausfinden können.

3. Identität: Wie hat dieser Moment Sie geformt? Wie hat er zu Ihrer heutigen Identität beigetragen? Egal, wie klein diese Veränderung war – wie hat sich Ihre Sicht über sich verändert?

4. ein wenig Mut: Schauen Sie zurück zu diesem Moment und überlegen Sie, wie Sie Ihren Mut nutzten, um eine Ihnen bekannte Stärke in diesem Augenblick nach vorne zu bringen oder eine noch nicht prägnante an sich zu entdecken.

Du hast nur eines in aller Welt, was dir ganz gehört – das ist der Augenblick!
–Friedrich Rittelmeyer

Ich kann mich an einige prägende Momente erinnern, an denen mir ganzkörperlich warm wurde und ich sogar stark zitterte, weil ich – bewusst oder unbewusst – meinen Mut zusammen nahm und aus meiner Komfortzone herausging.

Danach fühlte ich mich sauwohl – weil etwas in mir zum Klingen gekommen und genutzt worden war. Mut war in diesen Situationen häufig der Katalysator für das Herauskommen einer Stärke.

Positive Effekte dieser Übung

Meiner Meinung nach bietet diese Übung in mehrerlei Hinsicht eine große positive Wirkung:

  • Die Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen, denn meistens werden diese prägenden Momente andere Menschen beinhalten. Über diese Momente nachzudenken, kann auch im Nachgang persönliche Beziehungen stärken und Personen für einen wichtiger werden lassen. (sich im Nachgang für diese positive Veränderung bei diesen Menschen zu bedanken, ist ebenso stärkend!)
  • Den Fokus auf die schönen und starken Momente im Leben verstärken, denn diese Momente können oft genug als Ressourcen für schwierige Zeiten dienen.
  • Die Übung von Wertschätzung und stärkerer Achtsamkeit für solche Momente und das größere Bewusstsein der Auswirkungen auf sich und andere.
  • Der Aufbau von Selbstwirksamkeit in Menschen, die intensiver mit ihren Stärken in Verbindung treten bzw. solche entdecken, von denen sie vorher nicht einmal wussten.
  • Die Erkenntnis, dass viele Situationen existieren, in denen Mut aufgebracht und genutzt wurde und sich selbst auch Mut zuzuschreiben.

Wenn Ihnen nicht sofort positive, prägende Momente einfallen, überlegen Sie in die andere Richtung.

Wenn prägende Momente zuerst nicht positiv scheinen

Es gibt Tausende von Menschen, die durch ein Trauma bis an ihr Lebensende gezeichnet sind und in ihrem Leben nicht mehr froh werden. Die Psychologie legt in den letzten Jahren jedoch vermehrt ihr Augenmerk auf jene, die aus diesen Situationen gestärkt heraus gehen und die negativen Erfahrungen zum Besseren nutzen (post-traumatisches Wachstum).

So können Sie stark formende und verändernde Momente zuerst nicht als positiv wahrnehmen. Veränderte Lebensumstände (z.B. eine Scheidung oder Kündigung), Traumata, Notstände und andere große Stressoren werden oft erst im Nachhinein von Menschen als Erfahrungen wahrgenommen, die sie zu einer Verhaltensänderung gezwungen und im Nachgang positiv geformt haben.

Negativbeispiele führen häufig dazu, etwas nicht zu tun und sich im Gegenteil sogar für etwas Konträres (Positives) leidenschaftlich einzusetzen.

Auch Vorbilder können zu prägenden Momenten dazugehören, so dass keine wirkliche aktive Beteiligung nötig ist, sondern nur die Achtsamkeit über die positive Tat und der Wille, es in ähnlicher Weise zu tun.

Welche prägenden Momente haben Ihr Leben zum Besseren bewegt oder Sie geformt?

 

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