Während wir uns selbst vor allem nach unseren Absichten beurteilen, beurteilen wir andere meist nach ihrem Verhalten.
–Stephen M. R. Covey
Was der Sohn des Bestseller-Autors Stephen Covey zuvor 2009 in seinem Buch Schnelligkeit durch Vertrauen: die unterschätzte ökonomische Macht auf den Punkt brachte, sieht mir wie ein alltäglicher Verhaltensklassiker aus, den viele von uns unlängst erlebt haben.
Mir scheint es eine überlebenswichtige Strategie zu sein, die wir Menschen an dieser Stelle leben:
Wir legen unsere Absichten im Zweifel als grundlegend positiv aus (wir meinen es schließlich nur gut). Auf der anderen Seite sind wir geneigt, bei anderen Menschen anzunehmen, sie handelten grausam, rücksichtslos oder verletzend, wenn sie eine vermeintlich schlechte Entscheidungen getroffen haben.
Warum tun wir das?
Unser Charakter ist ein Produkt unserer Erfahrungen. Wir nehmen die negativen Erfahrungen mit anderen Menschen jedoch bewusster wahr. Deshalb kann es dazu kommen, dass wir die Menschen im Allgemeinen als „ein hinterhältiges Pack“ betiteln (Zitat Ende!), hingegen uns kein ähnliches Selbstbild attestieren.
Wir möchten glauben, dass wir gute Menschen sind, um mit uns selbst leben zu können. Dazu wollen wir auf der anderen Seite schnell beurteilen, welche anderen Menschen das nicht sind, um uns vor (physischen und psychischen) Schmerzen zu schützen.
Es scheint eine mentale Abkürzung zu sein: je früher wir im Menschen das Schlimmste entdecken, desto eher können wir planen, wie wir uns davor schützen.
Wann sollten wir von unserem Verhalten auf das der anderen schließen?
Was wäre, wenn wir uns dazu entschieden, dass zugleich die meisten anderen Menschen nur das Beste wollen, so wie wir?
Was, wenn wir nicht das Schlimmste annähmen, sondern uns auf die Suche nach dem Besten in ihnen und ihrem Verhalten machten? Was wäre, wenn wir all unsere Energie in die Anerkennung des Guten im anderen setzten und damit das Gute in uns wieder frei pinselten?
Das klingt jetzt eventuell skurril, aber vielleicht kennen Sie das Gefühl ebenfalls: Wann immer ich großes Vertrauen in die Stärken, in die Fähigkeiten einer Person setze, weckt das in mir eine Stimmung von Möglichkeiten. Es verbindet mich mit dem Gegenüber und dessen eigenen Möglichkeiten. Ich befähige mich damit, an das zu glauben, was der andere erreichen kann.
Der Wunsch nach Kooperation wird schnell stärker in mir.
Und wie wunderbar ist es jedes Mal, wenn ich mit meiner Stärken-Brille, der damit verbundenen leidenschaftlichen Herangehensweise mein Vertrauen in das, was wir mit Kooperation und Zusammenarbeit erreichen können, eben diese Ergebnisse geschehen sehe und all das damit bestätigt wird!
Jeder sollte all das werden können, wozu er bei der Geburt die Fähigkeiten mitbekommen hat.
— Thomas Carlyle
Meine Lehre daraus: Wenn ich mich dabei erwische, die Fehler und Unzulänglichkeiten des Gegenübers zu suchen, sollte ich die Coaching-Frage „Was ist das Gute an seinem Verhalten?“ erweitern.
Ich möchte mich viel häufiger fragen: Welche guten Qualitäten und Absichten übersehe ich? Und welche Möglichkeiten könnte ich erschaffen, wenn ich mehr auf diese guten Absichten und Qualitäten fokussierte?
Und so stark Fragen sein können, spricht man sie nicht aus, bleiben sie hinter ihrer Wirkung zurück. Deswegen möchte ich Ihnen eine Übung mit auf den Weg geben.
Übung: die Stärken- und Komplimenten-Runde
Eine schöne Übung ist, sich im Kreise der Liebsten (zum Beispiel bei einem Familienfest) Zeit zu nehmen und sich zu überlegen, was Bruder, Schwester, Papa oder Mama auszeichnet, was Sie an ihnen schätzen und vielleicht sogar manchmal neidisch bewundern.
Materialien: Stift und Papier. Smartphone-Besitzer können natürlich die Notizfunktion nutzen und diese Notizen am Ende der Übung via Email an die glücklichen Besitzer schicken.
Dauer: 5 Minuten pro Empfänger.
Durchführung: Schreiben Sie zuerst auf, was die Ihnen in der Runde Gegenübersitzenden so besonders macht. Welche Stärken haben Sie? Welche haben Sie heute bereits gezeigt? Was hat Sie fasziniert oder neugierig auf mehr gemacht?
Im zweiten Schritt lesen alle in der Runde ihre Punkte der einen Person vor. Das alleine wird für ihn oder sie ein Glücksmoment sein. Wann bekommt man solch eine Komplimenten- oder Stärkendusche schon?!
Im dritten Schritt überlegen sie gemeinsam, wie diese Stärken vermehrt eingesetzt und angewendet werden können – im familiären Kreis, im Beruf oder anderen Situationen.
Und wenn Sie ganz verrückt sein wollen, hauen Sie doch mal einem Fremden eine von Ihnen wahrgenommene Stärke um die Ohren…
Überraschungen garantiert! 😉
Welche Erfahrungen haben Sie schon gemacht, was die Rückmeldung von Stärken oder Komplimenten angeht? Posten Sie doch ein schönes Erlebnis in den Kommentaren oder hinterlassen Sie einen Satz in meiner exklusiven Stärkengruppe bei Facebook – die anderen werden sich freuen! 🙂
Literatur
Covey, S. & Merrill, R. (2009). Schnelligkeit durch Vertrauen. Die unterschätzte ökonomische Macht. Offenbach: GABAL Verlag.
Lieber Michael,
vielen Dank für diesen schönen Artikel! Was du beschreibst, deckt sich mit meiner Wahrnehmung: Sowohl das vorschnelle Urteilen über das Verhalten des anderen, als auch die Bereicherung durch die Wertschätzung des anderen. Für mich war der Artikel ein schöner Impuls, solche „Übungen“ nicht nur im Privaten durchzuführen, sondern auch bei der Arbeit. Seit diesem Monat arbeite ich in einem neuen Team und ich freue mich schon auf die erste Teamsitzung im Januar. Mal schauen, wie die anderen auf diese Idee reagieren 🙂
Liebe Grüße
Susanne
Liebe Susanne,
vielen Dank für die Rückmeldung! Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich Ende Januar nochmal nachhaken, wie dein Team mit dieser Idee umgegangen ist. 😉
Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand etwas gegen das Aufdecken von Stärken und Empfangen von Komplimenten haben könnte…! 😉
Liebe Grüße,
Michael
Lieber Michael,
ja klar, das mit dem Nachfragen kannst du gerne tun 🙂
Ich habe gerade einen Blog mit schönen Fotos und Sprüchen entdeckt, vielleicht gefällt er dir ja auch: http://photogedanken.blogspot.de/
Liebe Grüße
Susanne
Lieber Micha,
was lange währt, wird endlich gut: Gestern hatten wir unsere 2. Teambesprechung und ich habe mit meinen Kolleginnen zum Abschluss die Stärkendusche durchgeführt. Bei der 1. Besprechung hatte jede aufgeschrieben, was sie mit ins Team einbringt. Nun war es an der Zeit, offen auszusprechen, was jede an der anderen wertschätzt. Es war total schön, zu hören, wie viele Stärken jede doch hat 🙂 Vielen Dank dir für diesen wertvollen Impuls!!! Liebe Grüße Susanne
Na das höre ich doch gerne! 🙂
Dann hoffe ich, ihr könnt diese Übung zur Gewohnheit machen und damit bald schon schöne und positive Veränderungen in eurem Team herstellen! Gruß an die stärkenreiche Truppe! 😉
Micha
Ohn den Artikel vorher gelesen zu haben, habe ich gestern, am 26.12. also einem normalen Werktag in Frankrich bereits, in einem normalen Büro- und Medienwarenhaus einer jungen Verkäuferin zu einem fast seeligen Lächeln verholfen, indem ich ihr beim zweiten Kontakt am selben Tag dankte mit dem Titel eines musikalischen Ohrwurms hier: „Vous êtes – formidable !“ ( etwa: Sie sind grossartig ! )
Weiter so, werter Monsieur Tomov, mit ihren positiven Impulsen für sich selbst und ihre Lesergemeinde fast weltweit
schon.
W. Kauder
Danke für die guten Worte, lieber Wilfried! Und schön, dass du über die Landesgrenzen hinaus deinen Einfluss erweiterst! 🙂
Bleib dran!
Liebe Grüße,
Michael