Manchmal gehe ich Bücher oder einen Online-Artikel durch und bin der Meinung, dass deren Autoren ihre Leser, ja mich unterschätzen.

Ich lese von offensichtlichen Dingen (ich denke: „Das Buch hätte ich auch schreiben können!“) oder von den 7 Goldenen Wegen zu… und habe das Gefühl, bevormundet oder für blöd gehalten zu werden, weil die Hinweise und Ratschläge so ersichtlich und augenscheinlich sind, dass ich mich ärgere.

Dann lese ich meine Überschriften und Artikel und stutze…

7 Lügen über Leidenschaft, Die 9 häufigsten Gründe, warum wir bei guten Gewohnheiten scheitern, Grenzen setzen: 17 Schritte zum gesunden Nein-Sagen, …

Behandele ich Sie als geschätzten Leser genauso?

Ich lese in meinem Blog Artikel, deren teils gewagte Überschriften viel versprechen. Ich lese Absätze von Abläufen und Schrittfolgen. Ich lese ebenfalls Offensichtliches in Aufzählungen sortiert, das – wie im Falle der Dankbarkeit – wahrscheinlich automatisch bei vielen Lesern funktioniert und abläuft.

Wem muss ich erzählen, dass er ab und zu einem Mitmenschen ein Lächeln schenken oder seiner Mutter fernab vom Muttertag Blumen schenken könnte? Wem kann ich noch verdeutlichen, dass es am meisten Spaß macht, seine Stärken einzusetzen oder dass man glücklicher wird, indem man andere glücklich macht?

Mir fiel auf, dass mir viele der gelesenen Dinge durchaus offensichtlich erschienen. Leider waren diese Dinge aber teilweise so ersichtlich , dass sie bereits wieder aus meinem täglichen Fokus, aus meinem Gewohnheits-Vokabular verschwunden waren. Eine Erinnerung oder ein neuer Weg, diese einzusetzen, war für mich an dieser Stelle Gold wert.

Und mein Ärger nichts weiter als die Unzufriedenheit über mich selbst, trotz der Offensichtlichkeit die einfachen Dinge nicht besser wahrgenommen und eingesetzt zu haben.

Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.
–Charles Dickens

Offensichtlich ist nicht gleich einfach

Der Schlüssel zum Öffnen von großen, schweren Türen mag laut Dickens klein sein. Wie oft aber hat jeder von uns gerade die kleinen Dinge schon verlegt oder vergessen? Infolgedessen sind gewohnte Plätze nicht nur für Schlüssel, sondern außerdem für gute Taten oder gute Eigenschaften wichtig.

Ihre Tasse Kaffee, ohne die Sie nicht zu genießen sind.
Jogging und frische Luft am Morgen, noch bevor die Welt aufwacht.
Die Gute-Nacht-Geschichte für Ihre Liebsten, bevor sie ins Land der Träume abwandern.
Der unbewusste Vergleich mit den Schlechteren um Sie herum.

Doch gerade die Gewohnheiten – mögen sie hilfreich oder weniger hilfreich sein – bergen die Gefahr, eines Tages nicht mehr bewusst wahrgenommen zu werden. Wie der tägliche Weg zur Arbeit, den Sie möglicherweise schon einige Male zurückgelegt haben, ohne das bewusst wahrzunehmen, um plötzlich gesund und munter auf Ihrem Lieblingsparkplatz standen.

Es gibt – auch beim Ausüben von Dankbarkeit und den vielen anderen Möglichkeiten, mit seinem Leben glücklicher zu werden – Mittel, die einem Vergessen (Schlüssel) der Taten oder einem Übersehen aufgrund von Gewohnheit vorbeugen (z.B. das Bild in Ihrem Flur, das Sie nicht aus dem Gedächtnis beschreiben könnten).

Was ist wichtig beim Ausüben von Freundlichkeit?

1. Timing ist alles

Der erste Schritt: Prioritäten setzen und die für Sie passenden Aktionen zum aussuchen. Eine Liste von 10 Vorschlägen hat nicht für jeden gleichzeitig 10 passende Übungen parat. Aber sie ist ein Speicher von Möglichkeiten, aus denen Sie auswählen können, was Sie machen möchten. Und wie oft.

Studien von Sonja Lyubomirsky zeigen, dass ein Zuwenig keinen Zuwachs an Zufriedenheit bringt, ein Zuviel aber Ärger, Übermüdung oder auch Frustration heraufbeschwören kann. Aus Lyubomirskys Studie ging hervor, dass ein Tag in der Woche gut geeignet ist, jeweils eine neue, spezielle Aktion der Freundlichkeit auszuüben, anstatt wie ein Pfadfinder jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen und damit die Gewohnheit und dem Ausblassen die Tür zu öffnen (z.B. Lyubomirsky et. al, 2005).

2. „Neu“ heißt bewusster

Ich schreibe neu und speziell, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass Sie während des Tages längst eine Vielzahl guter Taten ausführen, ohne dass Ihnen das bewusst ist. Vielleicht lassen Sie grundsätzlich Einkaufende mit 3 oder weniger Teilen an der Kasse vor oder gehen automatisch auf Menschen zu, die in Ihrer Nähe verloren über einem Stadtplan brüten und helfen diesen weiter.

Nehmen Sie diese guten Taten nicht als Ihre speziellen auf, denn Sie werden für Sie keinen großen Sprung nach vorne, keinen Boost an Zufriedenheit bergen, sondern „nur das übliche Gefühl“.

3. Variation ist das Salz in der Suppe

Aus dem Befund, immer wieder neue Aktionen auszuüben, die Ihre Zufriedenheit steigern, lässt sich zusätzlich folgende Alltagsweisheit ableiten: Die Mischung macht’s. Hören Sie nicht auf, jemanden an der Kasse vorzulassen, wenn Sie das bereits tun. Aber wechseln Sie ab, was Sie an der Kasse tun. Vielleicht gibt es ja eine andere Möglichkeit, jemanden glücklich zu machen. Ein paar Cents fehlendes Kleingeld für die alte Dame, die mit zusammen gekniffenen Augen in ihrer Geldbörse kramt?

Die Variation der Aktionen hoch zu halten, erfordert Durchhaltevermögen, Kreativität und Einfallsreichtum. Doch gerade diese Fähigkeiten werden ihren Beitrag leisten, dass Sie jenes Glücksgefühl spüren.

4. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

„Tu‘ Gutes und sprich darüber“ ist ein geflügelter Satz, den ich häufig im Unternehmenskontext höre, weil viele Mitarbeiter die Lorbeeren ihrer guten Arbeit an andere abgeben oder verlieren. Sie tun zwar Gutes, erzählen es aber niemandem.

Sollten Sie einer dieser Personen sein, habe ich gute Neuigkeiten für Sie: bei der Suche nach Glück ist das eine wunderbare Gabe! Denn ob es Ihnen peinlich ist, von Ihren guten Taten zu erzählen oder Sie denken, es schickt sich nicht – eine verschwiegene gute Tat wiegt schwerer als eine erzählte.

Stellen Sie sich vor, Ihnen erzählt jemand, wie er einer alten Dame einen Platz in der U-Bahn angeboten hat.
Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind Zeuge, wie das neben Ihnen jemand tut.

Ich hätte bei Variante 2 längst ein schlechtes Gewissen, dass nicht ich, sondern die Person neben mir daran gedacht hat und so aufmerksam war. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich es das nächste Mal selbst tue.

Warum?

5. Sie tun’s nicht nur für sich

Es hat einen stärkeren Effekt, wenn man von Vorbildern lernt, anstatt von Vorworten.

Akte der Freundlichkeit ziehen vielfach einen Schneeballeffekt nach sich. Nicht alleine ist Ihre Aktion für den Empfänger wohltuend und aufmunternd, sondern auch für dessen Umfeld.

Jemand, der „Opfer einer guten Tat“ geworden ist, nimmt das mit zur Arbeit, mit nach Hause und somit auch mit zu anderen Menschen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Freunden oder Bekannten dieser „Opfer“ jetzt ebenfalls Gutes widerfährt, weil unser „Opfer“ am nächsten Tag vielleicht großzügiger oder mitfühlender ist.

6. Wenn’s jemand sieht, ist das doppelt gut

Ähnlich verhält es sich im Kontext von Freundlichkeit und Güte: eine Studie zeigt zum Beispiel, dass wir alleine durch die Beobachtung guter Taten von anderen einen großen Drang verspüren, es diesen „guten Menschen“ gleich zu tun (Algoe & Haidt, 2006).
Gute Taten sind ansteckend und lassen weitere gute Taten entstehen.

Auch Dankbarkeit setzt diesen Drang bei den Empfängern guter Taten in Bewegung. Der Wunsch wird größer, sich erkenntlich zu zeigen, (etwas zurück) zu geben und ebenfalls anderen Menschen dieses erhebende Gefühl zu verschaffen, Empfänger von etwas Gutem zu sein oder zu werden.

Mit diesen Dingen im Hinterkopf sollte es Ihnen noch einfacher fallen, das Gute in Ihnen zum Tragen zu bringen. Ich freue mich darauf. Und wahrscheinlich viele andere dazu…

 

Foto: Viewminder via flickr

Literatur

Algoe, S. B., & Haidt, J. (2009). Witnessing excellence in action: the „other-praising“ emotions of elevation, gratitude, and admiration. Journal of Positive Psychology, 4(2), 105–127.

Lyubomirsky, S., King, L., & Diener, E. (2005). The benefits of frequent positive affect: does happiness lead to success? Psychological bulletin, 131(6), 803-55.