Das Best Possible Self ist eine der bekanntesten Übungen aus der Positiven Psychologie. In diesem Artikel erfahren Sie auch genau, warum das so ist.

Dies ist ein Artikel aus der Serie Zum Glück – kugelsichere Übungen zur Steigerung des Wohlbefindens.

Im letzten Artikel habe ich fünf Vorteile von Optimismus aufgezählt, darunter sogar die hohe statistische Wahrscheinlichkeit für ein längeres Leben!

Sich von einer eher pessimistischeren Person in einen Optimisten zu verändern, ist nicht einfach. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten und Wege, diese Veränderung voranzutreiben.

Damit ich Ihnen keine vermeintlich klugen Ratschläge geben muss wie “Versuchen Sie, immer das Beste an einer Situation zu sehen” oder “Vertrauen Sie auf die Zukunft!”, werde ich Ihnen anstelle dessen konkrete Übungen anbieten, die einer wissenschaftlichen Basis entsprechen und sich bewährt haben. Wie z.B. die Übung des “Best Possible Self”.

Der schöne Nebeneffekt der Übungen für mehr Optimismus und damit weitere Vorteile dieser wunderbaren Eigenschaft: Sie ziehen viele andere Eigenschaften positiv mit nach oben.

Ihr Mut könnte wachsen, da sie aufgrund positiverer Erfahrungen bzw. deren Wahrnehmung auch mutiger mit neuen, unbekannten Situationen umgehen werden.
Ihre Liebe zum Lernen könnte sich vergrößern, da Sie stetig weitere Möglichkeiten finden, wie Sie aus vermeintlich “schlecht” gelaufenen Situationen Positives für die Zukunft mitnehmen können.
Auch Hoffnung und Dankbarkeit sind Dinge, die durch die Erhöhung von Optimismus gestärkt werden können.

Der Unterschied zwischen einem Optimisten und einem Pessimisten besteht darin, daß beide alles für möglich halten.
–Ernst Ferstl

Der bunte Hund im Straßenbahnabteil

Vor ein paar Jahren – ich arbeitete noch in Düsseldorf – hatte ich einen Gedanken, der mich berühmt machen sollte: Jeden Morgen mit einem lauten und freundlichen “Einen wunderschönen guten Tag!” in die U-Bahn einzusteigen. Dann abzuwarten, wie viele der Fahrgäste geistesabwesend die Fahrscheine zückten, weil sie den Schaffner erwarteten (wer sonst sollte mit solch einer Begrüßung einsteigen!?) und nach drei Stationen aussteigen und weiter meines Arbeitsweges zu gehen.

Sie können es sich denken: Ich wurde nur gedanklich berühmt. Aber Sie müssen zugeben: machte das jemand zwei Wochen am Stück zur selben Zeit in selbiger Bahn im selben Wagon – er wäre bald bekannt wie ein bunter Hund!

Leider fehlte mir der Mumm dazu.
Den Optimismus, dass eine solche Aktion zwar ein paar Morgenmuffel ärgerlich, einen Großteil aber zumindest in eine positive Richtung nachdenklich machen würde, hatte ich bereits. Optimismus zu kultivieren ist der Kultivierung von Dankbarkeit recht ähnlich. Beides hat mit der Gewohnheit zu tun, die beste Seite einer Situation zu sehen.

Optimismus ist darüber hinaus nicht nur das Feiern der Gegenwart und der Vergangenheit, sondern auch das Antizipieren einer vielversprechenden Zukunft.

“Was ist das – Optimismus?”, fragte Cacambo. “Ach”, erwiderte Candide, “das ist der Wahnsinn, zu behaupten, daß alles gut sei, auch wenn es einem schlecht geht.”
–Voltaire

Natürlich geht es bei Optimismus nicht um diese naive, einseitige Sichtweise, die Candide Cacambo hier offenbart. Oder darum, keine Schwierigkeiten in der Zukunft zu erwarten. Allerdings gibt es auch hier keine allgemeingültige Aussage.

Optimismus bedeutet für jeden etwas anderes. Einige Wissenschaftler definieren Optimismus als den Glauben an die Möglichkeit, irgendwie seine Ziele zu erreichen (Scheier & Carver, 1993). Andere fokussieren nicht auf das Ziel des Optimismus (z.B. “Ich werde den Job schon behalten.”), sondern auf den Glauben über die Wege, mit welchen wir dorthin gelangen können (Snyder, 1994).

Es geht also nicht nur um das “Ich werde es schon schaffen”, sondern auch um das Wie.
Und dazu jetzt mehr!

Das best‘ mögliche Selbst

Die Psychologie Professorin Laura King leistete Pionierarbeit, was die wissenschaftliche und systematische Arbeit für Übungen zur Stärkung von Optimismus darstellt.

In einer Studie (King, 2001) bat sie Freiwillige an vier aufeinanderfolgenden Tagen in ihr Labor. Und zwar mit einer ähnlichen Instruktion wie dieser:

Materialien: Stift und Papier oder einen Computer.

Dauer: 20 Minuten pro Tag. Vier Tage in Folge.

Durchführung: Denken Sie an Ihr Leben in der Zukunft. Stellen Sie sich vor, alles ist so gut gelaufen, wie möglich. Sie haben hart gearbeitet und erfolgreich alle Ihre Lebensziele erreicht. Stellen Sie es sich vor als die Realisierung aller Ihrer Lebensträume. Und jetzt schreiben Sie auf, was Sie sich vorgestellt haben.

Egal, ob Sie in Ihrer Vorstellung weltberühmte Pianistin sind, verheiratet mit Ihrem Seelenverwandten, glücklich lebend mit Zwillingen in einer Holzhütte in den Bergen (in denen Ihre Gesangskünste durch die Schluchten schallen ;).

Oder der barfüßige und ungezwungene Weltenbummler, der neugierig mit seiner Kamera die Länder durchquert, mit seinen Fotos Menschen begeistert und damit sogar noch Geld verdient.

Stellen Sie sich die best‘ mögliche Zukunft für sich vor. Und seien Sie mittendrin.

Eigene Erfahrungen mit dieser Übung: Selbstkritisch und lieber „untereifrig“ als über das Ziel hinausschießend hielt ich den Ball zuerst flach. Als ich mir mehr Raum gab für größere Ziele, begann wieder jenes Zittern.

Die Stimme meines Inneren Kritiker tönte zuerst noch laut:

„Warum stellst du dich nicht wieder vor den Spiegel: Ich bin wertvoll, ich bin stark, ich werde wertgeschätzt! Tz!“

„Selbsttäuschung in Perfektion – Bravo, bravo!“

„Konzentrier‘ dich auf das, was du realistisch erreichen kannst, du naiver Weltverbesserer!“

Ich schrieb weiter.
Der Kritiker verstummte.
Das leichte Zittern blieb.
Und ein warmes Bauchgefühl gesellte sich dazu.

Ein energiereiches Gefühl, verbunden mit großer Vorfreude auf den nächsten Tag mit derselben Übung, die mehr Details der gleichen Zukunftsidee einbrachte und mich weiterhin bei sehr guter Laune ließ.

Mein Tipp: Realismus (oder „flexibler Optimismus“, wie Marty Seligman es in seinem Glücksfaktor-Buch 2005 so schön schreibt) ist wichtig. Zwängen Sie sich jedoch nicht leichtfertig zwischen (Sie einschränkende) Wörter wie „unrealistisch“ oder „verrückt“.

Wie bei allem im Leben, gibt es nicht nur die eine Wahrheit. Das Leben kann grausam und wunderbar zugleich sein – je nachdem, auf was Sie fokussieren. Ebenso Ihre Zukunft.

Für diese Übung halten Sie daher bitte Ihre wichtigsten, wertvollsten, innersten Ziele fest und stellen Sie sich ihre Erreichung vor. Und dann schreiben Sie los!

Meinen Sie es ernst?

Laura King als auch später Sonja Lyubomirsky und Ken Sheldon fanden heraus, dass der größte Anstieg des Wohlbefindens bei den Teilnehmern lag, die die Übung für sich passend fanden, sie hingebungsvoll und mit großem Elan bearbeiteten (Sheldon & Lyubomirsky, 2006).

Ein Vorteil dieser Übung – neben dem Fakt, dass Sie sich Gedanken über Ihre innersten Ziele und Wünsche machen – ist die Strukturiertheit, Systematik und Klarheit durch das Schreiben. Etwas aufzuschreiben führt dazu, dass Sie automatisch organisieren, Gedanken miteinander integrieren und auch auf eine Art analysieren.

Schwierig, wenn man das alles ausschließlich im Geiste machen würde.

Natürlich werden immer mal wieder negative, pessimistische Gedanken Ihre Gedankenspiele unterbrechen. Aber auch das kann hilfreich sein.

Nehmen Sie Ihren Inneren Kritiker ernst. Nutzen Sie seine Anmerkungen und überlegen Sie sich alternative Wege zu Ihren Zielen, stecken Sie Teilziele, rufen Sie sich die Menschen ins Gedächtnis, mit denen Sie solch große Ziele erreichen können (und hier sind Wege zu diesen „guten“ Menschen).

Fazit

Wenn Sie an das denken, was Sie mit Ihren Stärken zuvor alles erreicht haben, ist das oft viel mehr als Sie sich bewusst hinter die Ohren geschrieben haben. Warum? Weil Eigenlob stinkt und man das nicht macht. Das wissen Sie doch…

Nehmen Sie also die Übung ernst, wenn Sie Lust haben, das Best Possible Self einmal auszuprobieren. Und sei es nur, um Ihre Kreativität ein wenig anzukurbeln und zu träumen, wie es wäre, wenn…

 

Eine ähnliche und genauso wertvolle und Optimismus fördernde Übung ist die Reflektion über die eigenen besten Momente im Leben, das Reflected Best Self.

 

Foto: kalyan02 on flickr

 

Literatur

King, L. A. (2001). The Health Benefits of Writing about Life Goals. Personality and Social Psychology Bulletin, 27(7), 798–807.

Scheier, M. F., & Carver, C. S. (1993). On the Power of Positive Thinking: The Benefits of Being Optimistic. Current Directions in Psychological Science, 2(1), 26–30.

Seligman, M. (2005). Der Glücks-Faktor: Warum Optimisten länger leben. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe.

Sheldon, K. M., & Lyubomirsky, S. (2006). How to increase and sustain positive emotion: The effects of expressing gratitude and visualizing best possible selves. Journal of Positive Psychology, 1(2), 73–82.

Snyder, C. (1994). The psychology of hope: you can get there from here. New York: Free Press.