Nachdem ich an anderer Stelle gezeigt habe, warum uns Freundlichkeit, Güte und Liebenswürdigkeit glücklicher machen und was wichtig ist beim Ausüben von Freundlichkeit, möchte ich heute auf Risiken eingehen, die Ihnen dabei über den Weg laufen können.

Die Positive Psychologie hält keine einseitig betrachteten Glücksformeln parat, die Sie zum Glücksritter oder nie mehr trauernden Erdenbewohner machen. Sie lässt Ihnen mit Ihren Stärken und Schwächen Möglichkeiten, sich zu entwickeln und dabei Neues zu entdecken. Und auch das Feld der Güte, Freundlichkeit und Harmonie hat viele Felder, in denen bei den meisten von uns Entwicklungsspielraum vorhanden ist.

Wahrscheinlich machen Sie bereits Vieles von dieser Liste, um Kollegen, Freunden oder Bekannten das Leben freundlicher zu gestalten. Erfahrungsgemäß ist die Gefahr groß, dass Sie das sogar häufiger tun, als manchmal gut ist für Sie oder Ihr Wohlbefinden.

Wenn jeder dem anderen helfen wollte, wäre allen geholfen.
–Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

Wann Freundlichkeit schädlich ist

Haben Sie schon von Glaubenssätzen gehört? Glaubenssätze sind Generalisierungen über Aspekte Ihrer persönlichen Welt. Sie basieren auf eigenen oder fremden Erfahrungen, die ungeprüft übernommen wurden. Ein Glaubenssatz enthält oft Sie als Wahrheit deklarierte Gedanken und Lebensregeln, die Sie über sich, die anderen und die Welt als solche anerkennen.

Sie können sich vorstellen, wie mächtig solche Sätze in unserem Leben sind und dieses (be)schreiben. Sie beeinflussen, was wir denken und wahrnehmen oder was wir uns erlauben zu denken und wahrzunehmen und was wir für möglich halten. Und aus diesem Grund können Sie extrem einschränkend sein.

Man muss immer freundlich sein

Viele der Leser von Was Wäre Wenn haben von dem Drang berichtet, von sich heraus freundlich zu sein, zu helfen und Harmonie schaffen zu wollen, wo das möglich ist. Manchmal heißt das, von etwas mehr zu machen. Manchmal, etwas anderes zu unterlassen. Und beim harmonischen Mehr- oder Wenigermachen von etwas denken die Wenigsten an den eigenen Vorteil, sondern tun das, was sie tun, für den oder die anderen.

Weil es moralisch gut ist.
Weil Eltern, Freunde, Geschwister es ebenso machen oder das zumindest sagen.
Weil Sie bisher damit noch keine schlechten Erfahrungen gemacht haben.

Aber: Ist das wirklich so?

Freiwilligkeit heißt freier Wille

Manchmal werden Sie aufgefordert, anderen auf Kosten des eigenen Wohlbefindens zu helfen. Solange dies kein anhaltendes Muster in Ihrem Leben und eine wesentliche Ursache Ihres Unglücklichseins ist, sollten Sie überlegen, Ja zu sagen.

Dennoch ist ein Vorbehalt über das Tun guter Taten, dass es freiwillig geschehen sollte. Um den maximalen Effekt von guten Taten zu erfahren, ist es nicht förderlich, sie unter Zwang auszuführen. Zwar haben auch diese guten Taten eine hohe Wahrscheinlichkeit, Gutes wiederkehren zu lassen, Ihnen Dankbarkeit zu verschaffen, sich selbst als großzügig wahrzunehmen und damit eine positive Spirale zu erzeugen.

Sobald Sie etwas nicht freiwillig, sondern aufgrund einer Bitte oder eines Befehls tun, verliert es jedoch unter dem Gesichtspunkt des Wohlbefindens viel von seinem Reiz und Effekt.

Beispiel gefällig?

Hat Ihnen Ihre Frau schon einmal gesagt, dass Sie ihr schon lange keine Blumen mehr mitgebracht haben?
Wie gerne haben Sie daraufhin Blumen gekauft (Sie haben doch Blumen besorgt?!)? Was meinen Sie: war die Freude bei Ihrer Frau nach den Blumen genauso groß, wie sie gewesen wäre, hätten Sie ohne ihre Erinnerung an Blumen gedacht?

Hilfe kann geistig und körperlich krank machen

Bestimmte Arten von Hilfeverhalten sind tatsächlich schädlich für die körperliche und geistige Gesundheit. Die eine, über die Wissenschaftler am meisten wissen, ist die Vollzeit-Pflege für einen geliebten Menschen, der chronisch krank oder behindert ist.

Studien zeigen, dass Bezugspersonen für Ehepartner mit Alzheimer dreimal höhere Depressionslevel zeigen als die Durchschnittsperson (Esterlin, et. al, 1994).

Pflegende Angehörige von Ehegatten mit Wirbelsäulen-Verletzungen berichten von schwerem körperlichen und emotionalen Stress, Burnout, Müdigkeit, Wut und Ärger. Und als wäre das nicht genug, sind diese Personen depressiver als ihre pflegebedürftigen Partner (Weizenkamp et. al, 1997).

Ein Pflegejob kann unerbittlich sein und geht häufig einher mit der Traurigkeit über den verloren gegangenen Partner, wie er einmal war und einem das Leben versüßt hat. Und natürlich heißt das nicht, dass die Pflege des behinderten Angehörigen aufgegeben werden sollte. Es ist jedoch gewiss sinnvoll, sich der Gefahren bewusst zu sein und zu versuchen, sie so gut wie möglich aufzufangen. Auch durch die Hilfe von Profis wie Therapeuten oder Coaches.

Hilfe kann unerwünscht sein

Sie haben möglicherweise den Artikel über das lila Bändchen gelesen, das dabei unterstützen kann, Beschwerden und unnötige Moserei einzudämpfen. Als ich vor Jahren das erste Mal von dieser Aktion hörte, erzählte ich vielen davon und fand eine Menge Anhänger und Mitstreiter. Diejenigen, die nicht mitmachten, beäugte ich kritisch. Ich fragte mich, warum jemand die Hilfe eines solchen edlen und weltverbessernden Unterfangens nicht in Anspruch nehmen sollte.

Heute muss ich lächeln, wenn ich mich so engagiert aber auch naiv und herrlich intolerant in der Vergangenheit sehe. Das lila Bändchen verführte mich zum Denken, ich sei etwas Besseres weil ich wenigstens an mir arbeitete, während es der Rest ja anscheinend nicht tat…

Jeder Mensch hat seinen eigenen Entwicklungsstand und bestimmte Dinge vor Augen, an denen er gerade arbeiten möchte. Angebotene Hilfe kann nützlich sein. Sie kann jemandem aber ebenso das Gefühl vermitteln, bedürftig, hinterher, uneingenständig oder verpflichtet zu sein, diese Hilfe wieder gut zu machen. Und anstelle von Dankbarkeit und Anerkennung kann schnell Feindseligkeit und Groll die Antwort auf die gut gemeinte Hilfe sein.

Die Menschen sind da, um einander zu helfen, und wenn man eines Menschen Hilfe in rechten Dingen nötig hat, so muß man ihn dafür ansprechen.
–Jeremias Gotthelf

Es macht einen großen Unterschied, jemanden missionieren und ihm Hilfe aufdrängen zu wollen oder das Hilfsangebot nonchalant anzubieten, ohne sich damit über den eventuell Hilfsbedürftigen zu stellen.

In diesem Sinne: Nehmen Sie meine Artikel bitte nur als Angebot wahr, Ihrem Leben Impulse zu geben.
Nicht mehr.
Nicht weniger. 🙂

Foto: Viewminder via Flickr

 

Literatur

Esterling, B. A., Kiecolt-Glaser, J. K., Bodnar, J. C., & Glaser, R. (1994). Chronic stress, social support, and persistent alterations in the natural killer cell response to cytokines in older adults. Health psychology official journal of the Division of Health Psychology American Psychological Association, 13(4), 291–298.

Weitzenkamp, D. A., Gerhart, K. A., Charlifue, S. W., Whiteneck, G. G., & Savic, G. (1997). Spouses of spinal cord injury survivors: the added impact of caregiving. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, 78(8), 822–827.