Flohmärkte sind nicht jedermanns Sache. Und ich gebe zu: ich bin einer jener, die bisher jeden langen Besuch eines Flohmarkts vermieden haben.

Für mich waren online-Flohmärkte (und Ebay und Co. sind nichts anderes) immer attraktiver als das Schlendern über einen echten Trödelmarkt, der seinem Ruf alle Ehre macht: Trödel zu präsentieren, bei dem ich genau glaube zu wissen, warum noch kein Besitzerwechsel stattgefunden hat.

Gestern, auf dem großen Bonner Flohmarkt in der Rheinaue, habe ich allerdings wichtige Lektionen gelernt, die das Phänomen Flohmarkt für mich neu beleuchten und überhaupt nicht mehr langweilig sein lassen.

Vielleicht sind diese Erkenntnisse für den eingefleischten Trödel-King trivial und kalter Kaffee. Für mich und die Menschen, die diese Märkte normalerweise meiden und spontan zehn Dinge aufzählen können, die sie gerade lieber machten, ist es eine Erweiterung des Horizonts.

Falls Sie wissen wollen, was einem an solch einem Tag unter Sonne, Regen und tausenden von suchenden Menschen alles durch den Kopf gehen kann, gibt es hier meine persönlichen Erfahrungen. Zuerst die psychologischen Zusammenhänge, die mir an dem langen Tag gestern klar wurden.

Jagen und Sammeln – kennen wir das nicht?

Natürlich, unsere Vorgeschichte. Immer wieder kommen wir an den Punkt zurück, wo uns ein schlauer Mensch sagt, dass Dieses und Jenes normal seien, weil wir das seit Jahrtausenden so machten. Ich bin zwar nicht dieser Kluge, denn ich vergesse zu oft, wie und was unsere Vorfahren taten, um sich am Leben und bei Laune zu halten. Aber ich gebe zu: es passt hier.

Egal, ob es das Durchwühlen des Sperrmülls ist oder das Streunen des Schnäppchenjägers auf dem Flohmarkt: unsere damals überlebensnotwendigen Urinstinkte bringen uns heute zum „Jagen“. Zum Beispiel nach noch fehlenden Einzelstücken, die die Sammlung komplett(er) machen.

Aber jagen wir wirklich nach Dingen? Oder ist es nicht etwas anderes?

Status und Anerkennung – Kleinvieh macht auch Mist (und Macht)

Die Jagd nach Dingen ist eine einfache und günstige Art, seinen Besitz zu häufen, also den eigenen Status zu erhöhen. Das komplette Drei-Fragezeichen-Kassettenset des Kleinanlegers ist der SUV des Gutverdienenden, die Yacht des Betuchten. Es tut nicht nur gut, etwas in Gänze zu haben, sondern auch, die erstaunten und neidvollen Blicke von Freunden und Bekannten zu sehen.

Natürlich kommt Anerkennung nicht von jedem, sondern hauptsächlich von Kreisen des gleichen Interesses oder „sozialen Niveaus“. Ein vollgepacktes Bücherregal wird die selber Lesenden beeindrucken, eine Ferrari-Flotte zwar dem Golf-Fahrer imponieren, aber ihm wahrscheinlich ein leichtes, zweifelndes Kopfschütteln entlocken. „Was man mit dem Geld alles hätte anstellen können…“

Expertentum – man ist und wird besonders

Allein durch die Fülle und die dahinter steckenden Kosten erwächst ein besonderer Status, das Gefühl, einzigartig zu sein oder zumindest einer von wenigen Gleichgesinnten.

Eine für einen aktiven Künstler lückenlose Plattensammlung lässt fast zwangsläufig das Image entstehen, man habe es hier mit einem Kenner zu tun. Das Bücherregal vermittelt einen belesenen Eindruck. Aber: die Hälfte dieser Bücher sind oft die Folge einer Empfehlung, haben beim Kauf ein kurzes, gutes Gefühl geschaffen, sind aber noch ungelesen.

Nichtsdestoweniger ist der Eindruck des Experten geschaffen.
Die Frage ist: Wen will man damit beeindrucken?
Und warum?

Flohmärkte schaffen soziale Nähe – durch den Trödel, mit dem Trödel

In ebay-Zeiten könnten die Dinge ihre Besitzer ohne sozialen Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer wechseln. Doch der Besuch eines Flohmarkts hat einen stark positiven sozialen Aspekt: man tauscht sich aus, fachsimpelt, handelt, ärgert sich, freut sich, zieht jemanden über den Tisch oder wird selber über’s Ohr gehauen. Das ist so sicher wie der erste Stau, den man mit seinem neuen Auto dazu kauft.

Und der Gedanke, vielleicht noch zu finden, was man vorher nicht gesucht hat oder jemanden zum Geburtstag beglücken könnte, rechtfertigt zumindest einen oberflächlichen Gang über den Markt.

Oder ist das zu kompliziert gedacht?

Übersicht – die Flucht aus der komplexen Welt

In Zeiten, in denen Twitter, Facebook und elektronische Post uns sekündlich mit den neusten Infos der Welt versorgen, kann einem schon mal der Kopf rauchen. Was ein gebildeter Mensch im Mittelalter in seinem ganzen Leben gelesen haben mag, stürmt heute schnell in einem Tag auf uns ein. Ebenfalls die Arbeitsanforderungen werden immer vielschichtiger und fordern das permanente Aktualisieren unseres Wissens.

Wie ruhig und entspannend kann da ein Flohmarktbesuch sein!

Man ist in seinem Element, hat eine übersichtliche Aufgabe in einem eingeschränkten und bekannten Feld. Schließlich weiß man ja, welches Modellauto einem noch fehlt.

Das Schöne daran: Sammeln ist hier Teil der persönlichen Weiterbildung. Und zwar nebenbei. Viele Menschen setzen sich mit Aspekten ihrer Sammelobjekte auseinander und werden somit zum bereits beschriebenen Experten ihrer Leidenschaft und ihres Kreises.

Fazit: die Perspektive bestimmt die Sicht

Flohmarktbesuche müssen nicht langweilig sein. Mit einer Mission im Rücken und einem Ziel vor Augen macht es viel Spaß. Mit den Beweggründen für einen solchen Besuch im Hinterkopf wird es mitunter lehrreich.

Aber Vieles an solchen Flohmärkten bleibt Quatsch. Oder? 😉

Edit: Ein paar Jahre nach Veröffentlichung dieses Artikels kam das Studio 47 aus Duisburg auf mich zu. Hier das Interview und der dazugehörige Beitrag zum Thema Flohmärkte – natürlich mit der Psychologen-Brille auf meiner Nase. 😉

Foto: transcript on flickr