Im letzten Artikel „EinwandFrei für 21 Tage“ habe ich über die Idee berichtet, mit Hilfe eines Gummiarmbandes achtsamer mit seiner Sprache und Umwelt umzugehen und nicht nur sich, sondern ebenso die Menschen um sich herum zum Positiven zu verändern.
So brillant dieser Ansatz ist, so viele Fragen wirft er gerade für den Anfänger auf. Es gibt Grauzonen zu diskutieren, Unsicherheiten auszuräumen und eine Gewohnheit zu kreieren, die vielen von uns eher gegenläufig ist.
Die folgenden Antworten sollen helfen, die beschwerdefreie Zeit fokussiert zu beginnen und Nachfragen besser beantworten zu können.
Es ist müßig, über vergossene Milch zu klagen.
–chinesisches Sprichwort
Wir Menschen tun Dinge, die uns von (Überlebens)Vorteil sind. Welche sind das?
Die Essenz des einwandfreien Umgangs lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Wenn du etwas nicht magst, ändere es.
Wenn du etwas nicht ändern kannst, ändere dich selbst oder deine Einstellung darüber.
Durch positives Verhalten werden positive Konsequenzen entstehen. Und ist es anfangs noch ungewohnt, Dinge positiver auszudrücken, wird sich bald eine neue, ebenfalls positivere Geisteshaltung einstellen. Diese wird Ausgangspunkt neuen Verhaltens sein.
Kurz: Sie werden Gutes sagen und Dinge ändern, anstatt sich über sie aufzuregen. Sie werden aktiver und durch Ihre lösungsfokussierte Einstellung für Ihre Mitmenschen ein angenehmerer und hilfreicherer Umgang sein.
Es geht also um das (Wieder)Erlernen gesunder Kommunikationsfähigkeit.
Aber sich aufzuregen, ist doch nicht schlimm. Ich brauche das ab und zu!
Hier sind zehn gute Gründe, warum es nicht gut ist, die Gewohnheit des Beschwerens aufrecht zu erhalten:
- Nörgeln, beschweren und lästern fokussiert auf das Problem und nicht auf die Lösung. Im Coachingkontext nennt man das „Problemtrance“. Dort zu verharren, bringt Sie nicht voran.
- Wenn man sich auf das Negative konzentriert, ist es wahrscheinlich, dass es bestehen bleibt.
- Sich zu beschweren schädigt der physischen und emotionalen Gesundheit.
- Ärzte schätzen, dass sie sich bis zu 2/3 ihrer Zeit mit Gesundheitsproblemen beschäftigen, die psycho-somatisch sind (aus dem Griechischen psyché für Atem, Hauch und Seele und soma für Körper, Leib und Leben). Sie wirken also von der inneren Einstellung und dem Denken auf den Körper und verschlechtern seinen Zustand. (Jan Kutscher, Immer ist die Seele Schuld)
- Menschen, die sich über ihre Gesundheit beschweren, tendieren dazu, eine schlechte zu haben.
- In einer Universitätsstudie, in der sich weibliche Teenager in ihren Beziehungen auf das Beschweren konzentrierten, zeigte sich eine höhere Depressions- und Selbstmordrate. (Amanda Rose, University of Missouri in Girls who complain about their problems at greater risk of developing anxiety and depression, 2007)
- Studien über den Zusammenhang von Wortwahl und a) Scheidungsraten und b) dem Erfolg von Unternehmen zeigen, dass alleine die ausgesprochenen und benutzen Wörter im täglichen Leben einen großen Einfluss auf die Qualität der Beziehungen haben. Dieses Verhältnis der Wörter zueinander nennt man „Losada Ratio“ (Positive affect and the complex dynamics of human flourishing). Sich zu beschweren (und nichts gegen den Ursprung zu unternehmen) birgt demgemäß eine große Gefahr und führt zu einer erhöhten Scheidungsrate und erhöhter Wahrscheinlichkeit des Bankrotts in Unternehmen.
- Ein jeder verändert sich am nachhaltigsten, wenn er aktiv die Entscheidung zu Veränderung getroffen hat. Veränderung aufgedrückt zu bekommen („die anderen sind schuld, also müssen sie sich ändern“), geht oft mit Reaktanz einher. Wer ändert sich schon gerne, nachdem er einen (vielleicht sogar berechtigten) Vorwurf bekommen hat?
- Man kann sich Gesundheit, Wohlbefinden und Erfolg nicht herbeibeschweren.
- Es gibt gute und es gibt schlechte Gewohnheiten. Beide verstärken sich durch Wiederholungen und Bestätigungen. Es ist eine aktive Wahl, die dann zu unbewusstem Verhalten führt. Sie entscheiden.
Soll ich die negativen Emotionen in mich reinfressen?
Auf keinen Fall! Es geht – weder bei der Bändchen-Aktion noch bei der Positiven Psychologie insgesamt – nicht darum, etwas zu unterdrücken und im schlimmsten Fall dadurch somatisch bedingt ein Magengeschwür oder anderes auszubrüten. Auf sich und seine Sprache zu achten soll im besten Fall dazu führen, dass Sie bewusster mit beidem umgehen und dadurch besser steuern können, wo Sie sich wie verhalten.
Bei vielen Menschen, die das Bändchen ein paar Wochen lang getragen und gewechselt haben, kommt die Erkenntnis hoch, dass es viele wirklich unnütze Dinge gibt, über die man sich (warum eigentlich?) aufregt, Energie verliert und langfristig doch nichts daraus gewinnt. Warum die Energie nicht für andere, positive Dinge aufwenden (wie z.B. Dankbarkeit)?
Wenn Sie meinen, Sie müssen sich jetzt aber über etwas aufregen, fragen Sie sich, ob es nicht noch einen anderen Weg gibt, das auszudrücken, was Sie gerade empfinden. Möglicherweise geht es ja sogar über die Benennung des Gefühls. „Ich bin sauer auf dich, weil ich Respekt brauche und ich das so nicht von dir aufgefasst habe! Bitte sprich leiser mit mir.“ ist eine konstruktivere Art der Kommunikation als „Du Blödmann! Immer bist du so gemein zu mir!“
Es geht also nicht um’s Unterdrücken, sondern um einen besseren Weg, sich und seine Gefühle besser zu verstehen und verständlich machen zu können.
Warum soll gerade ICH das Armband nutzen?
„Ich bin ein sehr positiver Mensch. Mein Nachbar könnte das viel besser gebrauchen!“ Wussten Sie, dass sich jeder Mensch durchschnittlich 15-30 Mal am Tag beschwert? Es verhält sich dabei ähnlich wie beim Mundgeruch: man bemerkt es zuerst und viel schneller bei anderen. Eigenen schlechten Atem erkennt man oft nicht. Wenn Sie aber anfangen, auf Ihre Sprache zu achten, werden Sie erstaunt sein, in wie vielen Situationen Sie sich aufregen, ohne etwas ändern zu können oder zu wollen.
Bevor Sie die nächste Bestellung für all jene machen, bei denen Sie genau wissen, wie sie das Armband gebrauchen können, schauen Sie bei sich nach, was Sie noch ändern können.
Wann wechsele ich mein Armband?
- Wenn Sie sich selbst mit negativer Energie nörgeln hören über nicht zu ändernde Fakten (wie z.B. das Wetter oder die Vergangenheit – konkrete Beispiele folgen weiter unten im Text).
- Wenn Sie über Dritte lästern und das Gesagte dieser Person nicht direkt mitteilen würden.
- Wenn Sie jemanden mit Bändchen darauf aufmerksam machen, dass er sein Band wechseln sollte, denn das gilt in diesem Kontext ebenso als Beschwerde.
Die Wissenschaft zeigt, dass sich Gewohnheiten – je nach Komplexität und Schwierigkeitsgrad – nach ca. 21-60 Tagen manifestieren und in unbewusste Verhaltensprogramme übergehen.
Und: es dauert im Schnitt 21 Tage, bis die Henne ihr Ei ausgebrütet hat. 😉
Hier ein paar Hintergründe, warum sich Gewohnheiten so gegen uns wehren.
Wie lange dauert das Ganze wirklich?
Durchschnittlich braucht man zwischen vier und acht Monate, um 21 Tage am Stück ohne Beschweren durch den Tag zu kommen. Gerade anfangs ist es normal, dass man sein Bändchen vielfach wechselt.
Feiern Sie deshalb Ihre Erfolge, so klein sie anfangs sein mögen.
Und wenn ich mich über mich selbst ärgere? Das bekommt ja niemand mit!
Sind Sie einer derjenigen, die mit Ihrem Navi schimpfen? Oder zumindest mit Vollidioten vor Ihnen, der permanent 20km/h zu langsam fährt?
Stellen Sie sich vor, dieser Fahrer will nur verhindern, dass Sie gestresst, unkonzentriert und viel zu schnell über die Straße rasen und im nächsten Graben landen. Schwierig vorzustellen? Mal angenommen, es würde Sie nicht mehr stören, weil Sie über positivere Gedanken auch zu einem ausgeglichenem Fahrstil kämen. Wäre das schlimm? Hätte das für irgendjemanden negative Konsequenzen?
Soll ich einen anderen auf eine Beschwerde aufmerksam machen, wenn er es nicht selbst merkt?
Machen Sie andere nur auf ihr Übersehen aufmerksam, wenn Sie Ihr Band danach ebenfalls wechseln. Ansonsten würden Sie schnell zur „Armbandpolizei“ werden und den Fokus auf sich und Ihr Verhalten schnell verlieren.
Es ist konstruktiv, anderen zu helfen? Ja, das stimmt. Aber der Sinn des „EinwandFrei“ liegt darin, die Selbstaufmerksamkeit zu steigern. Die Veränderung geht deshalb von Ihnen aus, nicht von anderen. Wenn Sie Ihre Aufgabe gut machen, brauchen Sie niemanden zurechtweisen, sondern sind alleine durch Ihr Verhalten ein gutes Vorbild für andere.
Unzufriedenheit ist der Vater vieler guter Gedanken. Sie werden aber selten große Erfinder oder Entdecker finden, die nur in ihren vier Wänden gesessen und sich über die Missstände dieser Welt aufgeregt haben. Sie kamen mit einer Vision an die Oberfläche und haben Menschen bewegt, sich selbst zu bewegen.
Nehmen Sie Martin Luther King. „Blöd, wie wir Schwarzen nichts machen können. Noch nicht mal wählen. Voll bescheuert…“ Das hätte ihn mit Sicherheit nicht weit gebracht. „I have a dream…“ begeisterte Menschen, brachte sie auf seine Seite und führte mit ihm grundlegende Veränderung herbei.
Wie kann ich andere bei Ihren 21 Tagen trotzdem unterstützen?
Indem Sie kritisch gegenüber sich selbst bleiben und andere ermutigen, dran zu bleiben. Lassen Sie sich überraschen, welche Dinge Ihren Kollegen, Freunden oder Familienmitgliedern an sich auffallen. Erinnern Sie andere daran, dass es nicht um einen Wettbewerb geht, sondern eine gemeinsame Reise in vorerst noch unbekanntes Land darstellt. Sprechen Sie Ihren Respekt aus über das Mitmachen an der Aktion.
Die ersten Tage und Wochen sind die schwersten. Schließlich wird aus dem neuen Weg langsam eine Gewohnheit. Und wenn Sie eine Gruppe hinter sich haben, die auch mitmacht – umso besser!
Deshalb steht für Sie nach Anmeldung am Was-Wäre-Wenn-Newsletter ein kostenloses pdf bereit, dass eine kurze Übersicht über die Regeln, weitere häufig gestellte Fragen und ein paar Beispiele gibt. Ob Sie damit besser kommunizieren, das bleibt Ihnen überlassen. 😉
Das kleine EinwandFrei Arbeitsbuch ist gefüllt mit Übungen, die es Ihnen einfacher machen werden, die einwandfreien Tage bewusst zu erleben, die 21 mit Freude zu erreichen und schon während dieser Zeit die Früchte aus dieser anfänglich vielleicht noch anstrengenden Reise ernten.
Welche Grauzonen gibt es und wie erkennt man sie?
- Hupen im Straßenverkehr. Die Hupe ist zur Warnung da. Wenn Sie jemanden anhupen, der zu langsam fährt, wird das höchstwahrscheinlich dazu führen, dass er zur Seite oder schneller fährt. Das wäre – wenn nicht exzessiv betrieben – kein Nörgeln, sondern im übertragenen Sinne konstruktive Kritik. Zetern Sie dabei aber wie ein Rohrspatz, dürfen Sie Ihr Bändchen auf den anderen Arm wechseln. Aber bitte vorher rechts ranfahren!
- Beschwerde-/Mitteilungsbox/Kummerkasten. Die Namen machen es deutlich – es geht hier primär um’s Beschweren. Schreiben Sie noch einen konstruktiven Vorschlag mit auf Ihren Zettel und schon wird es nicht nur Ihnen besser gehen, sondern auch die Empfänger Ihrer Kritik können mehr damit anfangen.
- Sagen, dass man sauer oder enttäuscht ist. Gefühle mitzuteilen ist Verarbeitung. Wenn Sie enttäuscht sind und das dem Gegenüber sagen, hat die Person es wesentlich einfacher, darauf zu reagieren, als wenn Sie bloß Dampf ablassen und laut werden. Es dient also der guten Kommunikation ist und ist folglich keine Beschwerde.
- Ironie. Ironie kann zu besserer Stimmung beitragen, ist insofern auch ein gutes Mittel, um Kritik anzuwenden. Von der Wortwahl ist Ironie allerdings die meiner Meinung nach schwierigste Situation.
Eine Faustregel dazu: Machen Sie sich über jemanden lustig und reiben ihm oder ihr Ihre Kritik unter die Nase? Beschwerde.
Machen Sie einen Missstand mit einer umständlichen Art und Weise Ihrer Sprache deutlich und bringen den Kritisierten genauso zum Lachen wie sich, ist das völlig in Ordnung.Die Energie, die hinter einem Kommentar oder Witz steckt, ist der entscheidende Faktor. Ist sie positiv oder negativ? Die Antwort auf diese Frage wird Ihnen auch sagen, ob es eine Beschwerde ist oder nicht.
Grundsätzlich gilt: Wenn Sie nichts Gutes zu sagen haben, sagen Sie lieber nichts. Stattdessen atmen Sie tief durch und überlegen, warum Sie nichts Gutes zu sagen haben und ob Sie das nicht ändern können.
Ein paar wörtliche Beispiele zum Thema EinwandFrei für noch mehr Klarheit gefällig?
„Mir ist kalt.“ ist eine Tatsachenbeschreibung. Und mit „Könntest du bitte die Heizung aufdrehen?“ hätten Sie gleich eine positive Änderungsabsicht. Sie könnten natürlich selber zur Heizung gehen. Das hält warm…
„Warum ist es hier in diesem Raum eigentlich immer so verdammt kalt!?“ ist eine Beschwerde. Sie ändert nichts. Außer, dass Ihre Zuhörer vielleicht überlegen, welche Laus Ihnen über die Leber gelaufen ist…
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„Sie hat heute Jeans und Stiefel ins Büro angezogen.“ ist ein Fakt.
„Zieh dir mal Mr. ‚Business Casual‘ rein und seine ausgeblichenen Jeans und die ach so schicken Stiefel!“ wäre alles andere als ein Fakt.
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„Ich bin müde.“ ist gegenüber „Ich bin soooo müde“ zwar nur ein kleiner, aber entscheidender Unterschied. Am besten überlegen Sie gleich mit, warum Sie müde sind und wie Sie das in Zukunft ändern können.
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„Dieser Kunde ist ein hoffnungsloser Fall. Den machst du nie glücklich!“ ist eine ähnliche Aussage wie „Dieser Kunde hat die Reputation, schwer zufrieden zu stellen zu sein.“ Dennoch ist im zweiten Satz die positive Möglichkeit gegeben, diesen Kunden doch glücklich zu machen. Die Frage ist nur: Wie? Und genau das ist eine lösungsorientierte Frage und Herangehensweise.
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„Herr Ober, die Suppe ist kalt und müsste noch einmal erwärmt werden.“ ist eine andere Aussage als „Wie können Sie es wagen, mir solch eine kalte Suppe zu bringen?!“
Eine Beschwerde sollte nicht verwechselt werden mit der Information an jemanden, der einen Fehler gemacht hat, so dass er ihn verbessern kann. Und von einer Beschwerde abzusehen bedeutet nicht zwangsläufig, dass man sich mit schlechter Qualität oder schlechtem Verhalten zufrieden gibt, seinen Mund hält und alles in sich hineinfrisst. Nur sollte man bei den Fakten bleiben, die sind immer neutral.
Helfen Ihnen diese Antworten? Welche Erfahrungen haben Sie schon gemacht? Was fällt oder fiel Ihnen besonders leicht? Was besonders schwer? Ich und viele andere freuen sich über Ihr Kommentar!
Foto: _*nikki*_
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