Verletzlichkeit im Alltag leben? Kein Problem.
Ich weiß, wie man in Konflikten zuhört.
Ich kann Menschen erklären, wie sie sich öffnen können, ohne sich zu verlieren.
Wie sie Verbindung gestalten – in Partnerschaften, mit Kindern, im Team.

Ich weiß das.

Und dann…
sehe ich mich selbst.

Wie ich mich zurückziehe.
Wie ich rechthaberisch werde.
Wie ich mir selbst nicht traue,
meine eigene Medizin zu nehmen.

Warum?

Die sichere Distanz der Ratgeberrolle

Brené Brown spricht vom Konzept der „cheap seats“ – den billigen Plätzen.
Den Sitzen in den Rängen, von denen aus wir urteilen können, ohne selbst Risiko einzugehen.
Wenn wir anderen Ratschläge geben, befinden wir uns oft genau dort.

Sicher. Beobachtend.
Klar. Aber unbeteiligt.

Denn echte Beteiligung – also der Gang in die Arena – bedeutet, dass wir uns zeigen.
Verletzlich. Ohne Netz.
Mit all dem, was wir selbst noch nicht gelöst haben.

Und das ist schwer.

Warum es schwer ist, unsere eigene Verletzlichkeit zu zeigen

Wir tragen Rüstungen.
Nicht aus Bosheit – aus Angst.
Angst, nicht zu genügen.
Angst vor Ablehnung, Scham, Bedeutungslosigkeit.

Diese Rüstungen sehen aus wie:

  • Stolz
  • Zynismus
  • Kontrollbedürfnis
  • Rechthaberei

Wenn ich einem Coachee rate, sich ehrlich zu zeigen, ist das leicht.
Wenn ich einer Partnerin etwas sagen will, was mich klein fühlen lässt – ist es schwer.
Weil ich’s spüre.
Weil ich verliere, womit ich mich schütze.

Wir erkennen mehr bei anderen – und weniger bei uns

Selbstwahrnehmung und die Reflexion an sich selbst ist Arbeit.
Wir erkennen Muster bei anderen mit Leichtigkeit – weil wir Distanz haben.
Aber bei uns selbst?
Da sitzen die Trigger tiefer.
Wir sind geblendet vom Eigenbild, vom Selbstanspruch, vom blinden Fleck.

Und trotzdem:
Nur wer den Mut aufbringt, sich selbst zu sehen,
kann echte Klarheit leben.

Nur wer sich der authentisch nähern möchte, wird den innersten Kern erfahren.
Und hat höchstwahrscheinlich ein erfülltes Leben.

Wissen ≠ Verkörperung

Wir verwechseln oft das Wissen um einen Wert mit der Fähigkeit, ihn zu leben.

Ich weiß, wie wichtig Präsenz ist.
Und manchmal checke ich trotzdem das Handy, wenn meine Tochter etwas erzählt.
„Nur mal kurz…“

Ich weiß, dass Empathie der Schlüssel ist.
Und trotzdem schütze ich mich mit Ironie, wenn ich mich verletzlich fühle.

Wissen ist leicht.
Verkörperung ist eine tägliche Entscheidung.

🔥 5 Ideen, wie du deine eigene Medizin nehmen kannst

  1. Nutze deine Trigger als Einladung
    Was dich ärgert, will dich nicht zerstören – sondern dir etwas zeigen.
  2. Erkenne deine Arena
    Wo vermeidest du deinen Auftritt? Wo versteckst du dich als Kommentator?
  3. Sprich es aus – auch wenn’s zittert
    Sag: „Ich merke gerade, ich halte mich zurück.“ Das ist schon echt.
  4. Übe Selbstempathie
    Behandle dich wie deinen besten Coachee. Kein Bullshit, aber Mitgefühl.
  5. Lebe deine Werte sichtbar
    Nicht perfekt, aber offen. Sag: „Ich versuche es gerade.“ Das ist schon Führung.

Vielleicht ist es genau das.

Nicht, dass wir perfekt handeln.
Sondern dass wir erkennen, wo wir noch nicht angekommen sind –
und den Mut aufbringen, zu bleiben.

Nicht besser.
Nicht klüger.
Nur echter.

 

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💡 Warum wir lieber klug beraten als selbst fühlen – Scham und die Kraft der Verletzlichkeit

Wenn wir Ratschläge geben, positionieren wir uns in einer sicheren, beobachtenden Rolle. Laut Brené Brown (2012) schützt uns das vor der Verletzlichkeit, die entsteht, wenn wir selbst sichtbar und emotional beteiligt sind. Diese Distanz wirkt stabilisierend – verhindert aber echte Intimität mit uns selbst. Wir suchen die Verbindung zu anderen Menschen, wollen uns sicher fühlen, ein erfülltes Leben führen – ohne das Misstrauen gegenüber dem Leben.

💡 Kognitive Klarheit trifft auf emotionales Autopilot-System

Daniel Kahneman (2011) beschreibt unser Agieren in zwei Denksystemen. Während System 2 rational erkennt, was sinnvoll wäre, übernimmt in emotional aufgeladenen Momenten System 1 – unser schnelles, impulsives und oft selbstschützendes Reaktionsmuster. Wissen alleine reicht nicht – wir brauchen emotionale Bewusstheit, dass Verletzlichkeit und verletzliche Momente zum Mut dazu gehören – indem wir Verletzlichkeit wagen.

💡 Warum wir bei uns selbst blinde Flecken haben

Eine Art „Selbst-als-Akteur-Blindheit“ beschreibt das Phänomen, dass wir unser eigenes Verhalten kontextabhängig rechtfertigen („Ich mach das eben so!“), während wir das Verhalten anderer als charakterlich bedingt bewerten („So ist der halt!“). Diese Verzerrung macht ehrliche Selbstreflexion besonders anspruchsvoll (Pronin et al., 2004; siehe auch Der Beautiful Mess Effect). Unsere Verletzlichkeit und sich verletzlich zu zeigen, rücken damit in die Ferne. Das Zulassen von Verletzlichkeit und dass zu zeigen, was dir am Herzen liegt, ist eine erlernbare Ressource.

💡 Der Wert von Selbstmitgefühl für nachhaltige Veränderung

Selbstmitgefühl – wie es Kristin Neff (2003) beschreibt – ist ein zentraler Resilienzfaktor. Menschen, die mit sich selbst freundlich umgehen, sind lernfähiger, weniger defensiv und langfristig psychologisch stabiler. Es ist nicht Schwäche – sondern psychologische Intelligenz. Ein Schritt in Richtung Selbstliebe. Auch schriflich als Brief an dich selbst ein großer Schritt, dich dir selbst anzuvertrauen, anstatt Verletzlichkeit zu verbergen!

💡 Werte leben und sich verletzlich zeigen statt nur predigen

Martin Seligman (2011) betont in der Positiven Psychologie die Bedeutung von „operationalisierten Werten“ – also der sichtbaren Umsetzung von inneren Haltungen im Alltag. Wer Empathie oder Authentizität als Wert benennt, oder auch den Wert der Verletzlichkeit, muss sie auch zeigen – gerade in schwierigen Situationen. Sonst bleiben diese Werte Theorie und du verhinderst damit, dein wahres Leben zu führen und deine Prägung umzuschreiben. Schmerzhaft, traumatisch und fernab von innerer Stärke.

Literatur

Michael Tomoff
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