Warum fällt uns das Loslassen belastender Dinge oder auch Menschen so schwer? Wir könnten uns unser Leben damit wieder ein Stück erleichtern und tun es trotzdem nicht.

Es ist einfacher, den Schrank auszumisten und die Kleider, aus denen man selbst (oder die Mode) rausgewachsen ist, anderen Menschen zu schenken, die sie besser brauchen können. Auch den uns nicht wirklich wichtigen Aktivitäten wie dem Fernsehen oder dem Websurfen (Stichwort: „Lost in Hyperspace“) entgegenzutreten, ist möglich und funktioniert sehr gut mit der Motivation, Zeit für Wichtigeres freizumachen.

Nur mit leeren Händen kann man nach Neuem greifen.
–Unbekannt

Emotionales loslassen? Ungerne…

Dinge oder Menschen loszulassen, an die wir emotional gebunden sind, ist eine ganz andere Hausnummer. Sofern es nur etwas „Kleines“ ist wie z.B. dieses wirklich nicht mehr modische T-Shirt, das Sie vor zehn Jahren gekauft haben, dann wird es einfach sein, dessen Etikett von „lange nicht mehr angezogen“ in „zur Altkleidersammlung“ umzuschreiben. Was aber, wenn es das geschenkte T-Shirt von einer Person kommt, die Sie einmal sehr geschätzt haben, vielleicht immer noch schätzen?

5 Gründe, warum loslassen so schwer fällt

Es gibt meiner Meinung nach 5 aufeinander aufbauende (oder anders herum: voneinander abhängige) Gründe, warum es uns so schwer fällt, loszulassen. Sie reichen von individuellen bis hin zu immer gesellschaftlicheren Gebieten. Da wären

  1. der Investitionseffekt
  2. das Besitzbedürfnis
  3. das Symbol des Status
  4. der Wunsch, anderen zu gefallen und
  5. die Angst vor Einsamkeit (die panische Angst vor dem Alleinsein nennt man auch Autophobie)

1. Der Investitionseffekt – das Geld, das nicht zum Fenster raus geht

„Ich habe etwas investiert, also will ich es auch behalten.“ Dieses Prinzip greift sowohl bei materiellen Dingen wie der alten Vase, die man mal erstanden hat als auch bei langjährigen Beziehungen, in die man so viel Schweiß und Arbeit gesteckt hat.

Wie viele Paare aus Ihrem Bekanntenkreis kennen Sie, die in ihrer Beziehung unglücklich sind, weil ihre Beziehung nicht mehr das ist, was sie einmal war? Abgesehen davon, dass es immer Möglichkeiten gibt, an sich selbst zu arbeiten und damit auch die Beziehung zu verändern, bestehen viele Ehen und Beziehungen über einen so langen (oft unglücklichen) Zeitraum, weil es so viele gemeinsame Erlebnisse oder Freunde gibt. „Das wird schon wieder“ oder „Das ist nur eine Phase“ sind wahrscheinlich Hoffnungsträger Nummer eins in solchen Konstellationen.

Auch die gemeinsam angeschafften Besitztümer haben in der Beziehung einen größeren Wert als außerhalb. Doch selbst, wenn es um ungeteilte Dinge geht: gibt man etwas einmal Gekauftes „einfach so“ weg, ist es, als werfe man das Geld zum Fenster raus. Die Schlussfolgerung: man behält die Vase, obwohl sie eigentlich nur noch Staub fängt.

2. Das Besitzbedürfnis oder: wenn das Bücherregal sowieso schon voll ist

Ich kaufe oft umgehend Bücher, die mir empfohlen werden und empfinde dabei immer ein kurzes Glücksgefühl. Das Buch dann ins Regal zu stellen, die Vorfreude auf das Leseereignis zu schüren – herrlich (Schuhkauf bei Frauen mag eine Parallele darstellen). Das Problem an der Sache: das Regal ist schon voll von Büchern, von denen viele ebenfalls ungelesen sind und bei denen meine Vorfreude bereits in schlechtes Gewissen umgeschlagen ist.

Dinge oder Menschen (im Sinne eines Anspruchs) zu besitzen, ist seit Anbeginn der Zeit ein großes Bedürfnis. Sei es aus Bequemlichkeitsgründen, etwas dann zu haben, wenn man es braucht, einfach das neuste Modell zu besitzen oder zur schnellen Bedürfnisbefriedigung – man gönnt sich ja sonst nichts.

Die Psychologie nennt dieses Phänomen auch „novelty seeking“ und Personen, denen es nicht nur bei Materiellem (sondern auch Erlebnissen) so ergeht, werden als „sensation seeker“ bezeichnet. Sie suchen z.B. beim Einkaufen oder Sport nach emotionalen Anregungen, um den Genuss des Lebens zu erhöhen, Abwechslung zu haben und sich neuen Reizen auszusetzen.

3. Statussymbole – mein Haus, mein Weinkeller, meine Urlaubsziele

Das übervolle Bücherregal zeigt vermeintlich die Belesenheit des Besitzers, wie der schicke Wagen den großen Erfolg im Job, das Marathon-Trikot an der Wand Fitness und Willenskraft darstellt oder die Urlaubsbilder in den Bilderrahmen von Abenteuern, teuren Stränden und wilden Safaris erzählen.

Wie der Psychologe Daniel Gilbert schon seit Jahren predigt, macht es glücklicher, sein Geld für schöne Erlebnisse auszugeben (Dunn, Gilbert und Wilson, 2011) als für materielle Güter. Auch, wenn auch bei Erlebnissen die Gefahr besteht, sich schnell daran zu gewöhnen, hinterlassen Erlebnisse eine ganz eigene Erfahrung, die zu höherer Befriedigung führt. Und Fotos davon erinnern nicht nur uns an diese Erlebnisse, sondern vermitteln auch anderen Menschen ein bestimmtes Bild von uns.

Und ist es nicht das, was wir unseren Besuchern ohne Worte sagen wollen? Dass wir eben nicht langweilig sind, Geschmack haben und dem Gesicht des Alltags die lange Nase zeigen?

Doch was ist letztlich die Konsequenz, wenn andere das Vermeintliche tatsächlich denken?

4. Der Wunsch, anderen zu gefallen: Everybody’s Darling und die soziale Anerkennung

Nicht nur der soziale Vergleich mit anderen kann unser Selbstwertgefühl stärken, sondern bereits die Fragen anderer Menschen nach Ereignissen, Besitztümern oder Bekanntschaften, die vermeintlich sozial anerkannt oder erwünscht sind. Ob die Folge nun der erhoffte und wohltuende Respekt ist, Achtung, Neid oder eine andere Gefühlsregung – der Besitz dessen, was im Fokus der Nachfrage oder Bewunderung steht, verändert unsere soziale Stellung.

Das Ziel ist hierbei oft unbewusst: besser dazustehen als vorher, gemocht und gebraucht zu werden und vielleicht sogar ein wenig Lob und Bestätigung einzuholen. Bei sozialen Vergleichen gibt es zudem viele Nachteile, die häufig außer Acht gelassen werden.

Warum all die Mühe, all die Kosten und Investitionen? Warum das Schaulaufen, das Präsentieren, das Rausputzen?

5. Die Angst vor Einsamkeit

Manche Menschen lieben die Alleinzeit: die Konzentration auf sich selbst, auf seinen Körper, auf die eigenen Gedanken. Seine eigene Gesellschaft nicht nur auszuhalten, sondern sogar bis zu einem bestimmten Grad genießen zu können, ist eine eigene Kunst.

Obwohl gerade auch das Pflegen guter Beziehungen zu anderen, auch leidenschaftlichen Menschen einer der Faktoren ist, die zu mehr Glück und Zufriedenheit im Leben führen, kennen auch Sie bestimmt das Bedürfnis, mal für sich sein zu wollen.

Ist die Einsamkeit jedoch ungewollt, alle Bemühungen um eine Änderung der einsamen Situationen folgenlos, dann macht das (unter normalen Umständen) unsicher und kann sogar in Depressionen enden. Und was tun wir oft, um zu verhindern, plötzlich ganz alleine, unbeachtet und ungeliebt dazustehen?

Wir machen es möglichst vielen anderen recht, sagt vornehmlich Ja wo wir Nein sagen könnten und sind gefällig.

 

Foto: Uaeincredible auf Flickr

Wussten Sie schon...?
  • …, dass es das Phänomen Lost in Hyperspace wirklich gibt?
  • …, dass die Forschungsbefunde zu den Auswirkungen gemeinsamen Besitzes (ganz besonders bei Haus- und Immobilienbesitz) so konsistent ist wie kaum eine andere Stabilität bestimmende Größe in Paarbeziehungen. Studien aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) oder Familienbefragungen unterstützen diesen Investitionseffekt.
  • Die Theorie des sozialen Vergleichs (Leon Festinger) besagt, dass Menschen Informationen über sich selbst durch verschieden gerichtete Vergleiche mit anderen gewinnen. Abwärts gerichtete Vergleiche erhöhen das Selbstwertgefühl. Aufwärts gerichtetes Vergleichen kann motivieren und die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aufzeigen. Der Vergleich mit Gleichgesinnten und einem ähnlichen Menschen gibt die realistischsten Informationen über das Selbst wider (Festinger in A Theory of Social Comparison Processes, 1954).
  • Das Extrem vom Loslassen von Materiellem hat ebenfalls einen Kult gefunden: den Minimalismus.