Wenn wir über Fehlerkultur diskutieren, brauchen wir Beispiele. Die besten Baseball-Spieler der Welt beispielsweise, sie trafen den Baseball über lange Zeit im Durchschnitt nur in 30% ihrer Schläge.
Das heißt, sie schlugen in 70% der Zeit daneben.

Denken Sie einmal darüber nach: Die besten Spieler der Welt.
All die Jahre der Ausbildung, der Praxis, des Lernens, der harten Arbeit auf dem Feld, im Fitness-Studio, all der Schweiß, der Aufwand und die Tränen.
All das und es verschafft ihnen eine 70%-ige Fehlerrate.

Und doch geht der durchschnittliche Mensch mit dem Ziel durch das Leben, eine 100%-ige Erfolgsquote zu haben. Jedes Mal.
Alles andere bedeutet Verlierer!

Wie hilfreich diese Art von Fehlerkultur ist, brauche ich nicht zu betonen.

Ich verzeihe allen gern ihre Fehler, nur mir nicht meine eigenen.
–Plutarch von Chäronea

Neue Fehlerkultur: das Helfer-Syndrom

Haben Sie schon mal einen Fehler gemacht, der sich im Nachgang als nützlich, wenn nicht sogar als die bessere Entscheidung herausgestellt hat?

Die Übung, vermeintlich falsche Entscheidungen oder anfangs dumm gelaufene Situationen als nützliche Lernerfahrungen umzudeuten, ist Teil der Positiven Psychologie und trägt – regelmäßig angewendet – zu mehr Wohlbefinden und Dankbarkeit bei.

Ich habe schon an verschiedenen Stellen davon erzählt, dass Fehler desgleichen Helfer sein können und es vielfach nur darauf ankommt, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet. Ob es die Vergangenheit ist, mit der Sie nicht mehr hadern, ein professioneller Umgang mit Fehlern oder die Kunst, sich für Fehler zu entschuldigen – am Ende sind Sie schlauer, auch wenn ihr Stolz mal einen temporären Knacks bekommt.

Verlaß dich nicht auf andere. Mach deine eigenen Fehler.
–Manfred Hinrich

In meiner Coaching-Runde kam am Wochenende eine freche Möglichkeit auf, mit dem Fehler-Helfer-Wissen umzugehen. So kann es nicht nur eine wichtige Erkenntnis sein, sondern bietet außerdem eine wunderbare Variante, auf (s)einen Fehler aufmerksam zu machen.

Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie sind im Büro und es steht der wöchentliche Jour fix auf der Tagesordnung. Sie haben ein mulmiges Gefühl im Bauch, weil Sie letzte Woche etwas gemacht haben, das Sie lieber nicht an die große Glocke hängen würden. Schon gar nicht vor Ihren Kolleg:innen. Es wird die letzte Woche besprochen. Sie sind an der Reihe und Sie wissen: Wenn Sie es nicht sagen, wird es einer Ihrer Kolleg:innen tun. Einige von denen sind nämlich Spezialisten im Fehlerfinden und -aufdecken… Also holen Sie Luft und sagen:

Das Missgeschick letzte Woche… Das war mein Helfer.

Michael Tomoff - Was Wäre Wenn - Fehlerkultur verbessern

Wahrscheinlich wird es kurz ruhig. Dann sagt jemand „Du meinst Fehler„. Sie gehen nicht in die Rechtfertigung, sondern bleiben ruhig. Sie sagen noch einmal, „Ja, das war mein Helfer.“ Und den lassen Sie sich nicht nehmen! Besonders in dem Moment, in dem (Ihnen und anderen) der Entwicklungs- und Lerneffekt durch den ausgesprochenen Satz erkenntlich wird, macht es beinahe Spaß, das auszusprechen, was sonst gegenüber Kollegen, Chefs und dem Partner zu Hause oft so schwer fällt.

Wir werden es ausprobieren. Und wer weiß… vielleicht verändern wir die Fehlerkultur uns unseren Arbeitskontexten. Vielleicht ermutigen wir unsere Kollegen, es uns gleich zu machen. Vielleicht wandeln wir die Scheu vor Fehlern in die Freude am Lernen. Denn…

  • je leichter man einen Satz aussprechen kann, desto öfter tut man es (was denken Sie, was sich leichter aussprechen lässt: Fehler oder Helfer?),
  • je öfter man ihn ausspricht, desto einfacher kann er einem von den Lippen gehen,
  • je leichter das geht, desto schneller machen es andere einem nach.

Natürlich werden gemachte „Fehler“ infolgedessen nicht richtiger. Sie werden aber wertvoller. Und ihre Umdeutung zum unbeabsichtigten Helferlein erleichtert die Arbeit an ihnen beträchtlich und macht das Potential deutlich, was Sie aus diesen Situationen lernen können. Und das kann große Veränderungen bewirken. Zum Beispiel für die gesamte Unternehmenskultur!

Wie bekommen Unternehmen eine positive Fehlerkultur?

In der heutigen schnelllebigen Geschäftswelt ist es für Unternehmen von entscheidender Bedeutung, eine positive Fehlerkultur zu etablieren. Fachkräftemangel, Motivationsprobleme, vermentliche Bedrohungen durch Künstliche Intelligenz. Eine positivere Kultur ermöglicht es Mitarbeiter:innen, aus Fehlern zu lernen und Innovation voranzutreiben. Durch die Schaffung eines sicheren Umfeldes für Fehler und die Kommunikation von Fehlern als Lernchance können Organisationen ihre Lernkultur verbessern, die Mitarbeiterzufriedenheit steigern und die Leistung von Teams optimieren.

Experimentelle Studien haben gezeigt, dass eine positive Fehlerkultur positive Auswirkungen auf die Leistung von Teams und das individuelle Lernverhalten hat. Allerdings gibt es auch Herausforderungen bei der Implementierung einer solchen Fehlerkultur, wie den Widerstand gegen Veränderungen und den Umgang mit wiederkehrenden Fehlern. Dennoch ist es für Unternehmen essentiell, eine positive Fehlerkultur zu fördern, um den Erfolg langfristig zu sichern.

Definition und Merkmale einer positiven Fehlerkultur

Eine positive Fehlerkultur in Organisationen bezieht sich auf eine Einstellung und Umgebung, in der Fehler als natürlicher Teil des Lernprozesses akzeptiert werden und als Chance zur Verbesserung angesehen werden. Sie zeichnet sich im besten Fall durch offene Kommunikation, Vertrauen, Unterstützung und den Fokus auf das Lernen und die Ermöglichung von Innovation aus.

Merkmale einer positiven Fehlerkultur umfassen:

  1. Offene Kommunikation: Mitarbeiter sind ermutigt, Fehler offen anzusprechen und zu diskutieren, ohne Angst vor Bestrafung oder Stigmatisierung.
  2. Vertrauen und psychologische Sicherheit: Mitarbeiter fühlen sich sicher und unterstützt, auch wenn sie Fehler machen. Es gibt eine Kultur des Vertrauens, in der niemand fürchten muss, für das Eingestehen von Fehlern bestraft oder beschämt zu werden.
  3. Lernorientierung: Organisationen mit einer positiven Fehlerkultur sehen Fehler als Möglichkeit, aus ihnen zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Die Mitarbeiter werden dazu ermutigt, ihre Fehler zu reflektieren, die Ursachen zu verstehen und geeignete Maßnahmen zur Verbesserung zu ergreifen.
  4. Innovationsfördernd: Eine positive Fehlerkultur fördert den Mut, neue Ideen auszuprobieren und Risiken einzugehen, da sie Fehler als unvermeidlichen Bestandteil des Innovationsprozesses betrachtet.
  5. Verantwortung übernehmen: Statt Fehler auf Einzelpersonen zu schieben, fördert eine positive Fehlerkultur die Übernahme von Verantwortung und die Suche nach Lösungen, um ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden.
  6. Kontinuierliches Feedback: Regelmäßiges Feedback und Coaching sind Teil einer positiven Fehlerkultur. Mitarbeiter erhalten konstruktives Feedback, um ihre Leistung zu verbessern und aus Fehlern zu lernen.
  7. Fehlerbehandlung als Lernchance: Die Organisation betrachtet Fehler als wertvolle Lernmöglichkeiten. Es werden Reflexionsprozesse etabliert, um aus Fehlern zu lernen und das Wissen innerhalb der Organisation zu teilen.

Viele der traditionelleren Unternehmen haben zwar schon das Wissen, diese neue Richtung einzuschlagen, ihnen fehlt aber an der Unternehmensspitze noch das Vertrauen und die Dringlichkeit, dass ein neuer Weg voll von Verletzlichkeit, Menschlichkeit und Fehlern einer der wenigen nachhaltigen sein wird. Und da es Jahrzehnte lang ja auch ganz gut mit Perfektionismus, teils überhöhten Ansprüchen und Druck funktioniert hat, braucht es noch eine Weile, die Belegschaft umzugewöhnen, damit aus einem teils verstaubten Leistungsdenken ein zukunftsträchtigen, menschlicheres Bild wird.

Michael Tomoff - Was Wäre Wenn - Fehlerkultur in Unternehmen

Literatur

Deng, D., Kim, H. J., Min, H., & Murray, J. C. (2022). Error Aversion Versus Error Management: Does Organizational Error Culture Affect Employees’ Customer Orientation? Journal of Hospitality & Tourism Research, 48, 199–224.

Klamar, A., Horvath, D., Keith, N., & Frese, M. (2022). Inducing Error Management Culture – Evidence From Experimental Team Studies. Frontiers in Psychology, 12.