Im letzten Artikel habe ich beschrieben, wie Sie nicht nur mithilfe von Tetris Ihre Wahrnehmung verändern können, sondern ebenso eine Stärken-Brille angesprochen, die Sie selbst mit ungetrübten Augen ab und an aufsetzen sollten.
Ich möchte Ihnen ein Gedankenspiel zeigen, das Sie vergessen lassen könnte, dass Sie die Person vor sich eigentlich gar nicht mögen.
Und die Stärken-Brille spielt eine zentrale Rolle.
Menschen, auf die wir abladen
Häufig ärgern wir uns bei anderen Menschen besonders über die Dinge, die wir selbst an uns nicht mögen (das nennen Psychologen Projektion). Wir regen uns z.B. über jemanden auf, der immer alles besser wissen will und merken erst später, dass wir das möglicherweise genauso tun.
Natürlich ist es einfacher, das bei anderen anzugehen als bei sich selbst.
Genauso verhält es sich bei Stärken: es fällt oft leichter zu sagen, was man selbst gut kann als das bei anderen zu tun. Insbesondere bei Menschen, die man nicht mag, gegen die man Vorbehalte hat, die einen schnell auf die Palme bringen.
Einer der Menschen, die mich schnell auf die Palme bringen können, ist unser Vermieter (den ich noch als Leser dieses Blogs gewinnen möchte :). Er reizt mich häufig ungewollt, weil ich Dinge in ihm erkenne, die mich an mir ärgern.
Nichtsdestoweniger kann ich von ihm noch viel lernen. Vor allem, wenn ich weiterhin beherzige, was ich Ihnen jetzt mit auf den Weg gebe.
Die Stärken-Brille
Stellen Sie sich vor, Sie gehen am Wochenende mal wieder raus aus dem Haus. Sie gehen los, kommen an ein riesiges Gebäude, an dem ein dickes, rostiges Schild angebracht ist:
Sie treten ein (der Eintritt ist frei!), schlendern auf den Wegen und sehen die verschiedensten Arten von Lebewesen in den luftigen Käfigen und großräumigen Gehegen herumlaufen.
Alle haben ihre Eigenheiten.
Natürlich gefallen Ihnen manche der Zoobewohner besser als andere.
Weil sie schöner sind.
Sich munterer geben.
Sie vielleicht mehr können als die anderen.
Jede Art kann etwas besonders gut, weil diese Fähigkeit für ihren Kontext wichtig ist. Es sind allesamt Spezialisten – beim Jagen, beim Balzen, beim Verstecken.
Sie blicken auf diese Vielfalt mit großem Interesse. Neugierig wie ein Kind, das zum ersten Mal einen riesigen Elefanten sieht.
Stellen Sie sich vor, die Ihnen unliebe Person kommt ebenfalls in den Zoo. Sie – jetzt im Kontext des Zoos mit einer anderen Perspektive als sonst – nutzen das Interesse des Forschers, die Faszination der Vielfalt.
Sie haben die Stärken-Brille auf.
Fällt Ihnen an diesem Menschen etwas auf?
Was kann er gut?
Worin ist er Spezialist?
Wobei vielleicht sogar ein Vorbild?
Beim Betrachten der Affen im Zoo sind wir uns wieder ein Stück näher gekommen.
–Manfred Poisel
Was würde mir mit meiner Stärken-Brille auffallen, wenn mein Vermieter in den Zoo der Stärken käme? Oder ich ihn mit diesem Blick anschaute, käme er wieder einmal bei uns vorbei?
Ich würde meinen Kopf schief legen und erstaunt feststellen, dass er wortgewandt ist, im direkten Kontakt äußerst freundlich und mit der alten Schule der Höflichkeit ausgestattet.
Mir würde auffallen, dass er trotz seines hohen Alters (über 80) äußerst fit ist, Abenteuer sucht (letztes Jahr alleine 3 Wochen Urlaub in Nepal!) und sich nicht zu schade ist, in der Welt seinen Willen durchzusetzen, indem er ihn schriftlich formuliert und an die nötigen Stellen leitet.
Er ist willensstark und hat die Fähigkeit, zu sparen und hat dadurch über die Jahre ein großes Vermögen angehäuft.
Aussprechen, was man sieht
Wenn ich mir jetzt überlege, ich sagte ihm, welche Stärken ich in ihm sehe – was würde passieren? Wie würde er reagieren?
Wahrscheinlich wäre er hocherfreut, überrascht und würde mich (trotz der lustigen Brille auf meinen Augen) ein Stück mehr mögen als vorher.
Wer bekommt nicht gerne seine Stärken gespiegelt…?!
Was täte die Person, die Sie sich vorgestellt haben?
Foto: DALL-E2
Ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Leuten zu sagen, was bzw. welche Eigenschaften ich an ihnen gut finde. Noch habe ich das nicht bei für mich unliebsamen Personen getan, sondern eher bei Menschen, die mir irgendwie sympatisch sind (die muss ich dazu noch nicht mal gut kennen), aber ich werde die Tipps mal beherzigen. Die Reaktion darauf ist so gut wie immer sehr überrascht und erfreut, und in manchen Fällen führt es dazu, dass die Person dadurch ein Stück Sicherheit gewinnt, was sich wieder in anderen Bereichen positiv äußert. Grundsätzlich finde ich, dass einfach viel zu viel gemeckert und kritisiert wird, anstatt einfach mal die positiven Dinge hervorzuheben und Anerkennung zu zeigen.
Danke für den schönen Artikel, sehr inspirierend wie immer!
Danke für das Kompliment!
Ich denke auch, dass das Komplementieren und Loben anderer liebenswürdiger Menschen erst einmal ein großer und guter Start ist, Beziehungen zu pflegen und aufzubauen.
Gerade aber mit dem Blick auf die Menschen, die einem eben nicht so liegen und denen gegenüber man oft auch kritischer, voreingenommener und unfreundlicher ist (und das oft ja auch nicht an sich mag), kann es eine gute Maßnahme sein, die Stärken-Brille aufzusetzen und über seinen Schatten zu bringen.
Einfacher gesagt als getan, aber bestimmt lohnenswert.
Es überhören, schon zur kenntniss nehmen, sicher auch freuen, aber nichts erwidern, ausweichen, Thema wechseln.